Der verbotene Turm
und Glück hast – machst du es vielleicht möglich . Ich will nicht, daß Callista leidet. Und doch bringt ihr die Wahl, die sie getroffen hat, viel Leid. Sie ist jung, doch nicht mehr so jung, daß sie ihre Ausbildung ohne Schmerzen abschütteln kann. Es dauert lange Zeit, bis eine Bewahrerin herangebildet ist, und man kann das nicht in kurzer Frist rückgängig machen.«
Andrew protestierte: »Ich weiß …«, und Leonie seufzte von neuem. »Wirklich? Das frage ich mich. Es geht nicht nur darum, den Vollzug eurer Ehe um Tage oder vielleicht Monate zu verschieben. Das wird nur der Anfang sein. Sie liebt dich und sehnt sich nach deiner Liebe …«
»Ich kann Geduld haben, bis sie bereit ist«, schwor Andrew. Leonie schüttelte den Kopf. »Geduld wird nicht genug sein. Was Callista gelernt hat, kann man nicht ungelernt machen. Du wünschst nicht, darüber Bescheid zu wissen. Vielleicht ist es besser, wenn du nicht zu viel weißt.«
Von neuem beteuerte er: »Ich werde versuchen, es ihr leicht zu machen«, und wieder schüttelte Leonie den Kopf und seufzte. Noch einmal sagte sie: »Nichts, was du tun könntest, wird es leicht machen. Küken können nicht zurück in die Eier schlüpfen. Callista wird leiden, und ich fürchte, du wirst mit ihr leiden. Aber wenn du Glück hast – wenn ihr beide Glück habt, kannst du es ihr möglich machen, den Weg, den sie gegangen ist, zurückzugehen. Nicht leicht. Aber möglich.«
Da gewann seine Entrüstung die Oberhand. »Wie könnt ihr jungen Mädchen so etwas antun? Wie könnt ihr ihr Leben auf diese Weise zerstören?« Leonie antwortete nicht. Sie senkte den Kopf und bewegte sich geräuschlos von ihm fort. Nach seinem nächsten Lidschlag war sie verschwunden, schnell wie ein Schatten, so daß er an seinem Verstand zu zweifeln begann. Er fragte sich, ob sie überhaupt da gewesen sei oder ob seine eigenen Zweifel und Ängste eine Halluzination erzeugt hätten.
Jetzt stand Callista vor ihm in dem Zimmer, das sie ab morgen teilen würden. Sie hob langsam die Augen zu ihm auf und flüsterte: »Ich wußte nicht, daß Leonie diese Begegnung mit dir herbeigeführt hatte«, und er sah, daß sie die Hände zu Fäusten ballte, bis die kleinen Knöchel weiß hervortraten. Sie wandte den Blick von ihm ab. »Andrew, versprich mir eins.«
»Alles, meine Liebe.«
»Versprich mir, wenn du jemals … irgendeine Frau begehrst, versprich mir, daß du sie nehmen und nicht unnötig leiden wirst …«
Er explodierte. »Für welche Art von Mann hältst du mich? Ich liebe dich! Warum sollte ich irgendeine andere Frau wollen?«
»Ich kann nicht erwarten … Es ist nicht richtig, nicht natürlich …«
»Sieh mal, Callista.« Er sprach wieder ruhig. »Ich habe lange Zeit ohne Frauen gelebt. Ich habe nie das Gefühl gehabt, daß mir das schadete. Es hat ein paar gegeben, hier und da, während ich im Imperium umherzog. Nichts Ernsthaftes.«
Sie blickte auf die Spitzen ihrer kleinen farbigen Ledersandalen nieder. »Das ist etwas anderes, Männer unter sich, die ohne Frauen leben. Aber hier, wenn du mit mir lebst, mit mir im gleichen Zimmer schläfst, mir die ganze Zeit nahe bist und dabei weißt …« Sie fand die richtigen Worte nicht. Er hätte sie gern in die Arme genommen und geküßt, bis der erstarrte, verlorene Blick verging. Schon legte er die Hände auf ihre Schultern, fühlte, wie sie sich unter der Berührung verkrampfte, und ließ die Hände fallen. Verdammt seien die, die auf diese Weise in einem jungen Mädchen pathologische Reflexe erzeugten! Aber auch ohne Berührung spürte er Kummer in ihr, Kummer und Schuldbewußtsein. Sie sagte leise: »Du hast mit deiner Frau kein gutes Geschäft gemacht, Andrew.«
Er erwiderte sanft: »Ich habe die Frau, die ich will.«
Damon und Ellemir traten ein. Ellemirs Haar war zerzaust, ihre Augen leuchteten; sie hatte den glasigen Blick, den Andrew mit erregten Frauen assoziierte. Zum ersten Mal, seit er die Zwillinge kannte, sah er Ellemir als Frau, nicht nur als Callistas Schwester, und er fand sie sexuell anziehend. Oder sah er in ihr für einen Augenblick die Callista, die sie eines Tages werden mochte? Er hatte ein flüchtiges Gefühl von Schuld. Ellemir war die Schwester seiner Braut. In wenigen Stunden würde sie die Frau seines besten Freundes sein, und deshalb war sie die Einzige unter allen Frauen, auf die er nicht mit Begehren blicken sollte. Er wandte sich ab.
Sie sagte: »Callie, wir müssen neue Vorhänge anbringen lassen, die hier
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