Der verbotene Turm
zusammengefegt, die sich wie Wellen eines harten weißen Ozeans bis zu den in der Ferne verschwimmenden Bergen hinzogen. Andrew kam es vor, als spiegele das Wetter seine Stimmung wieder: grau, trüb, unerträglich.
Wie leicht zerreißbar war das Band, das ihn an Callista knüpfte! Und doch wußte er, er konnte nie mehr zurück. Er hatte zu viele Tiefen in sich selbst entdeckt, zu viel Fremdartigkeit. Der alte Carr, der Andrew Carr des Terranischen Imperiums, hatte an jenem längst vergangenen Tag, als Damon sie alle miteinander durch die Matrix in Rapport brachte, zu existieren aufgehört. Andrew schloß die Finger um seine Matrix, die hart und kühl in dem kleinen Isolierbeutel um seinen Hals hing, und erkannte, daß es eine darkovanische Geste war, wie er sie Damon Hunderte von Malen hatte vollführen sehen. In dieser automatischen Geste wurde er sich von neuem der Fremdartigkeit seiner neuen Welt bewußt.
Er konnte nie mehr zurück. Er mußte sich hier ein neues Leben aufbauen oder die ihm verbleibenden Jahre als ein Geist, ein Niemand, ein Nichts durchwandern.
Bis vor wenigen Nächten hatte er geglaubt, auf dem besten Weg in ein neues Leben zu sein. Er hatte befriedigende Arbeit, eine Familie, Freunde, Bruder und Schwester, einen zweiten Vater, eine liebende und geliebte Frau. Und dann war diese ganze neue Welt unter einem unsichtbaren Blitzschlag um ihn zerbröckelt, und die ganze Fremdartigkeit drängte von neuem auf ihn ein. Sie schlug über ihm zusammen, ertränkte ihn … Sogar Damon, früher sein enger Freund, sein Bruder, war kalt und fremd geworden.
Oder war es so, daß er, Andrew, jetzt überall und in jedem Fremdartigkeit sah?
Callista bewegte sich. Andrew fürchtete, seine Gedanken könnten sie stören, und so nahm er seine Kleider und ging hinaus, um zu baden und sich anzuziehen.
Als er zurückkehrte, war Callista wach geworden, und Ellemir hatte sie für den Tag fertig gemacht. Sie hatte ihr ein sauberes Nachtgewand angezogen, sie gewaschen und ihr Haar geflochten. Das Frühstück war gebracht worden und stand auf dem Tisch, wo sie während Callistas Krankheit zu viert ihre Mahlzeiten eingenommen hatten.
Aber Ellemir stand immer noch beunruhigt an Callistas Bett. Als Andrew eintrat, bat sie gerade ängstlich: »Callista, ich wünschte, du würdest Ferrika erlauben, dich anzusehen. Ich weiß, sie ist jung, aber sie ist im Gildenhaus der Amazonen ausgebildet, und sie ist die beste Hebamme, die wir je auf Arilinn gehabt haben. Sie …«
»Die Dienste einer Hebamme«, stellte Callista mit einer Spur bitterer Belustigung fest, »sind das Letzte, was ich brauche oder wahrscheinlich brauchen werde.«
»Trotzdem, Callista, sie kennt sich mit allen Frauenbeschwerden aus. Bestimmt könnte sie mehr für dich tun als ich.« Sie rief Damon zu Hilfe. »Damon, was hältst du davon?«
Damon stand am Fenster und sah in den Schnee hinaus. Jetzt drehte er sich um und betrachtete die beiden mit leichtem Stirnrunzeln. »Niemand hat mehr Hochachtung als ich vor Ferrikas Begabung und Kenntnissen, Elli. Aber ich weiß nicht, ob sie in diesem Fall genug Erfahrung hat. Es ist keine alltägliche Sache, nicht einmal in den Türmen.«
Andrew fuhr auf: »Ich verstehe das alles nicht! Geht es immer noch um das Einsetzen der Menstruation? Wenn es so schlimm ist …« – und damit wandte er sich direkt an Callista – »… könnte es doch nichts schaden, wenn Ferrika dich einmal untersucht?«
Callista schüttelte den Kopf. »Nein, das ist schon seit ein paar Tagen vorbei. Ich glaube …« – sie blickte lachend zu Damon auf – »… ich bin einfach faul und nutze die weiblichen Schwächen zu meinem Vorteil.«
»Ich wünschte, es wäre so, Callista.« Damon verließ seinen Platz am Fenster und setzte sich an den Tisch. »Ich hatte gehofft, du würdest heute aufstehen können.« Er beobachtete sie, wie sie sich mit unsicheren Händen langsam Butter auf ein Stück heißes Nußbrot strich. Sie führte es zum Mund und kaute es, aber Damon sah nicht, daß sie schluckte.
Ellemir brach ein Stück Brot. »Wir haben ein Dutzend Küchenmädchen«, klagte sie, »und wenn ich einen oder zwei Tage in der Küche fehle, ist das Brot nicht zu genießen!«
Andrew dachte, das Brot sei wie immer: warm, duftend, das Korn vermischt mit dem grob gemahlenen Nußmehl, das auf Darkover zu den Grundnahrungsmitteln gehörte. Es roch nach Kräutern und schmeckte gut, aber Andrew hatte auf einmal etwas gegen die fremdartige Körnigkeit und die
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