Der vergessene Mond Band II - Das schwarze Buch (German Edition)
dar.
Plötzlich spürte Kira ein Kribbeln im Nacken. Das seltsame Gefühl, den Blick eines Fremden auf sich gerichtet zu haben, ließ augenblicklich ihren inneren Alarm läuten. Sie war fremd hier, vermutlich die einzige Frau aus Begos im ganzen Reich Meronis und so wunderte es sie nicht, dass sie von vielen der Einheimischen angestarrt wurde, aber das war etwas anderes. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie verfolgt wurden und sie hatte in den letzten Monaten gelernt, ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.
Blitzschnell drehte sie sich um und starrte aufmerksam in die Menge. Händler und Reisende gingen auf dem Weg, den sie auch eingeschlagen hatten. Einige Männer in waldfarbener Lederrüstung mit extrem großen Langbögen schienen neben den dünn gesäten Soldaten des Königs die einzigen Krieger in Sichtweite zu sein. Doch niemand starrte zu ihr, keiner der Männer und Frauen in Sichtweite schien sie zu beobachten.
„Ich habe es auch bemerkt, Kira. Jemand folgt uns, jemand der sehr geschickt darin ist.“ Sprachlos sah Kira zu Ise, die gesprochen hatte, ohne sich umzudrehen. Sie hatte die valkallische Frau stets nur als Magierin gesehen, die einen Großteil ihrer Zeit damit vertat, ihr gutes Aussehen zu pflegen, doch das war offensichtlich ein Fehler gewesen. Wenn sie noch vor Kira bemerkt hatte, das man sie verfolgte, war ihre Wahrnehmung außergewöhnlich. Verwirrt blieb nun auch Herm stehen und sah zu Ise. „Verfolgt, jetzt schon? Wir sind gerade mal einen halben Tag in Paitai und werden schon verfolgt?“
Mit einem Schulterzucken wandte sich Kira zu Herm. „Du hast dir in nur wenigen Wochen etwa fünfzigtausend Valkaller zum Todfeind gemacht, mich wundert nur das du uns hier noch nicht an den Galgen gebracht hast.“ Sein säuerlicher Blick zeigte ihr, dass sie einenwunden Punkt getroffen hatte, aber jetzt war nicht die Zeit für Entschuldigungen. „Wir können es momentan sowieso nicht ändern. Und so wie wir auffallen, können wir uns auch nicht verstecken. Gehen wir erst einmal weiter zum Tempel, möglicherweise können wir dort sicher übernachten.“ Ohne eine weitere Diskussion abzuwarten, nahm Kira wieder den Weg auf.
Der weitere Aufstieg zu den höheren Ebenen der Baumstadt erwies sich als noch beschwerlicher wie Kira befürchtet hatte und so ging die Sonne bereits am Horizont unter, als sie den Tempel erreichten. Immer wieder hatte sie versucht, ihren Verfolger zu erspähen, doch ohne Erfolg. Wer auch immer es war, er verstand eine Menge davon, sich unauffällig zu bewegen. Einen Moment lang hatte sie befürchtet, dass es einer der maskierten Attentäter sein könnte, die sie aus Begos verfolgt hatten, doch dann hatte sie den Gedanken verworfen. In die Eisebenen Valkalls war ihnen sicher keiner von ihnen gefolgt und somit würde das Auftauchen der Mörder in Meronis auch keinen Sinn machen.
Schließlich erreichten sie die oberste Ebene vor dem Tempel und sahen auf die lange hölzerne Brücke, die sie zum Tempel hätte bringen können, wenn sie nicht von der anderen Seite eingezogen worden wäre. Offenbar waren sie bereits zu spät, es würde heute keine Audienzen mehr geben. Frustriert setzten sie sich für einen Moment auf die Plattform und starrten hinüber zum Tempel, während sich Dunkelheit über Paitai legte. Die meisten Gasthäuser waren auf den unteren Ebenen, sie würden einen Teil des Weges wieder zurück gehen müssen.
Plötzlich stutzte Kira. Obwohl sich Dunkelheit über den Tempel gelegt hatte, war sie beinahe sicher, dass sie eine Bewegung etwas unterhalb der großen Plattform gesehen hatte, auf der das gewaltige Bauwerkstand. Der Tempel bestand aus einer riesigen Kuppel, deren Dach den Erzählungen nach ein Loch in der Mitte hatte, durch das die Singer die Sterne sehen konnten, wenn sie ihre Rituale durchführten. Neben der Kuppel befanden sich mehrere kleinere Gebäude, die vermutlich hauptsächlich der Unterbringung der Singer und Tempeldiener dienten, nicht unähnlich ihrem alten Kloster in Struktur und Aufbau. Das Herausragendste aber beim Anblick des Tempels war die Tatsache, dass der große Kuppelbau in einem Stück gewachsen zu sein schien. Hunderte und Tausende kleiner Äste und Kletterpflanzen bildeten die Struktur des einzigartigen Baus, dessen Anblick sicher schon so manchem Reisenden die Sprache verschlagen hatte. Doch jetzt interessierte sich Kira nicht für das außergewöhnliche Bauwerk, sondern die Schatten, die sich beinahe unsichtbar an der Unterseite der Plattform
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