Der vergessene Tempel
die ganze Legende wahr ist: Homer, Achilles, Troja – alles. Er ist … er ist Geschichte.»
Reed starrte durch die Cockpitscheibe. «Das ist es ja gerade. Die Welt hat schon genügend Geschichte – und täglich wird es mehr. Aber niemand schafft mehr Mythen. Und gerade die brauchen wir. Als ich damals in Kensington Schliemanns Vortrag hörte, ging es nicht um die Tatsache, dass all das wahr ist – es ging darum, glauben zu dürfen, dass es wahr sein könnte. Was uns inspiriert, ist das Staunen – die Unsicherheit, das köstliche Nichtwissen. Eine Empfindung von etwas, das man um Haaresbreite nicht greifen kann. Die Geschichte rückt es wieder in unsere Reichweite.»
Er löste seinen Sicherheitsgurt und ging zum Heck des Flugzeugs. Grant versuchte nicht, ihn zurückzuhalten. Als die Kabinentür sich öffnete, drang heulender Sturmwind herein. Marina regte sich unter ihrer Decke und schlug die Augen auf. Reed hielt sich an den Streben in der Decke fest, stolperte zu dem Schild und band ihn los. Er nahm die Bleidecken ab, in die er gewickelt gewesen war. Einen Moment lang kniete er davor, starrte auf die lebenstrotzenden Bilder in dem Metall. Dann stand er auf, rollte den Schild zur Tür und stieß ihn hinaus in die stürmische Finsternis.
Das Flugzeug flog weiter in die Nacht hinein. Unten auf dem Wasser sah niemand die kleine Fontäne, die der Schild aufspritzen ließ – oder falls doch, glaubten die Leute, ein Delphin bräche durch die Wellen. Das Wasser war tief; der Schild sank schnell. Und wenn jemals ein Sirenengesang zu der Stelle tief unten im Meer drang, wo er ruhte, oder ein Krake vorbeiglitt oder der Schatten einer Meeresnymphe über ihn hinstrich, so würde die Geschichte niemals davon erzählen.
HISTORISCHE ANMERKUNG
Linear B wurde in Wirklichkeit 1952 von Michael Ventris und John Chadwick entziffert. Die Geschichte ihrer Errungenschaft, einer der größten Verstandesleistungen des 20. Jahrhunderts, wird mit eleganter Klarheit in Chadwicks Linear B: Die Entzifferung der mykenischen Schrift erzählt und in voller wissenschaftlicher Detailgenauigkeit in dem gemeinsamen Werk der beiden, Documents in Mycenaean Greek, das nicht ins Deutsche übersetzt wurde.
Sämtliche klassischen Autoren, auf die in diesem Roman Bezug genommen wird, sind authentisch und alle Zitate aus ihren Werken korrekt. Reeds Homerzitate sind den Übersetzungen von Johann Heinrich Voß entnommen.
DANKSAGUNG
Für die Recherchen zu diesem Buch musste ich fast ebenso viel reisen wie meine Romanfiguren. Auch wenn diese Reisen für mich durchweg weniger gefährlich waren, boten sie mir doch genauso viel Anlass zum Staunen und Entdecken. Dafür schulde ich Colin Macdonald großen Dank, der so freundlich war, mich in der Villa Ariadne in Knossos herumzuführen, als ich an seine Tür klopfte; Lucy und Nik Ftochogiannis vom Apollo-Pavillon auf Lemnos (heute Limnos), deren hausgemachten Wein ich hier wie versprochen erwähnen will; James Harrop, mit dem ich versunkene Städte entdeckt und auf den brennenden Gasquellen von Cirali Pfannkuchen gebacken habe; und meiner griechischen Familie – Helen, George und Panos Hayios – für ihre Unterstützung und Gastfreundschaft während meiner Aufenthalte dort.
Zu Hause besorgten Yulia Kovacs und Isabella Paul die Übersetzungen ins Russische und Deutsche, während meine Schwester Iona mir bei den klassischen Zitaten half. Dr. Jonathan Burgess war so freundlich, mir Einblick in eine Rohfassung seiner Monographie The Death and Afterlife of Achilles zu gewähren, wobei er vermutlich nicht ahnte, wozu ich seine Forschungsarbeit missbrauchen würde. Meine Agentin Jane Conway-Gordon hat mich unermüdlich unterstützt und für meinen regelmäßigen Unterhalt gesorgt. Bei Random House hat mein Lektor Oliver Johnson mich in meiner Idee zu dem Buch bestärkt und wie gewohnt in meisterhafter Weise mit seinen Kommentaren dazu beigetragen, und Charlotte Haycock ist es zu verdanken, dass das ganze Projekt so glatt lief. Beide haben mich angesichts meines beängstigend engen Zeitplans ungemein unterstützt, wofür ich wirklich dankbar bin. Außerdem danke ich Richard Ogle, Rodney Paul, Claire Round, Louise Campbell, John Kelly und Richard Foreman für all die Anstrengungen, die sie für mich unternommen haben.
Meine Frau Marianna war mir wie immer eine unverzichtbare Partnerin in allen meinen schöpferischen Bemühungen.
Informationen zum Buch
Eine Botschaft aus dunkler Vorzeit. Wer sie
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