Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Autoren: Robert M. Talmar
Vom Netzwerk:
konnten. Auch unsere Wechseltiere, obwohl die sie gar nichts nicht angehen. Ist angeblich eine Anweisung von Herrn Gesslo. Da hast du’s. Und die Post will ausgetragen sein, und niemand kümmert’s. An wem bleibt’s also wieder mal hängen? Am alten Kuaslom.« Er hatte sich in Hitze geredet und keuchte erneut.
    Finn klopfte neben sich auf den Kutschbock. »Na los, spring schon auf. Wie gut, dass ich ausgerechnet heute nach Rudenforst fahre.«
    »Ich werd nicht warten, bis du es dir etwa anders überlegst.« Der Postbeutel fand einen Platz, dann kletterte Kuaslom zu Finn hinauf. »Das ist wirklich nett«, sagte er, »das ist es. Vielen Dank, Herr Finn.«
    »Keine Ursache.« Finn schnalzte. Smod legte sich erneut ins Zeug, und sie rollten den Hügel hinab. Im Grund der Mulde empfingen sie Flusswiesen, deren hohe, schilfähnliche Halme beiderseits der Straße im Wind raschelten. Ein schmaler Bach schlängelte sich fast unsichtbar heran und lief über die Straße; Smod trabte von sich aus an, das kaum knöcheltiefe Wasser spritzte nach allen Seiten.
    »Es ist ohnehin gut, dass ich dich treffe«, sagte Finn. »Ich habe erst heute Morgen mit Konkho Zeisig gesprochen, und er hat mir von den verschwundenen Kindern von Giunda Blässner erzählt   …«
    Kuaslom wischte sich mit seinem Tuch den Nacken. Die Sonne stand hinter ihnen und brannte auf ihren Rücken. »Ist eine weitere merkwürdige Sache, das mit den Blässner-Kindern, nach allem, was ich gehört habe«, brummte der Postler.
    »Eine weitere?«
    »Na ja, es ist   … Womöglich hältst du mich für wunderlich auf meine alten Tage   … Was immer die anderen sagen, ich behaupte, es ist merkwürdig, das ist es. Da hast du’s.«
    »Ich werde mich hüten, dir zu widersprechen   – wenn du mir nur verrätst, was dich so beunruhigt.«
    »Beunruhigt?« Kuaslom steckte sein Tuch weg und rieb sich dafür den Nacken. »Ja, das ist es wohl. Die Leute in Rudenforst sind unruhiger als früher, würde ich mal sagen. Sie   – na ja, sie gehen weiter in den Wald und verrichten ihre Holzarbeit. Und der Honig, den sie ziehen, ist so gut wie eh und je. Aber sie sind nicht mehr so   … so sorglos. Sie sagen, der Wald sei anders als früher, als würde er sie beobachten bei dem, was sie tun. Das mag stimmen oder auch nicht. Jedenfalls blicken sich die Leute öfter um, und wer es vermeiden kann, allein in den Wald zu gehen, der lässt es bleiben. Es wird was dran sein, wenn du mich fragst. Bin selbst viel allein im Obergau unterwegs, wie du weißt, und nie habe ich mich auf der Straße unsicher gefühlt. Seit dem Mittmonat im September ist das anders. Manchmal denk ich, da sind Blicke, hinter Hecken oder Zäunen oder von Felsenklippen herab. Ein paar Mal hab ich vorsichtig nachgesehen, weil es mir keine Ruhe ließ, und nie fand ich was. Aber das will nichts heißen. Ich schwöre dir, da war was. Hab ich mich immer schnell aus dem Staub gemacht und wäre gewiss gerannt , wenn ich was gefunden hätte. Um ehrlich zu bleiben: Ich bin froh, dass du mich heute mitnimmst. Nicht nur wegen der armen Truda. Es ist wegen Rudenforst und seinem Wald. Die Gegend dort ist merkwürdig geworden. Das ist es.«
    Während er sprach, umrundeten sie den Mürmelkopf, ein eigenartiges, weißes Felsengebilde am rechten Ufer. Höher als drei Brochs ragte es auf, drohend und mit einer zerfurchten Stirn, überdie sich niedrige Büsche kringelten wie Kraushaar in das Gesicht eines grimmigen Mannes. Von drei Seiten glaubte man in das grobgehauene Antlitz eines Benutcaerdir zu schauen, das streng nach Nordosten über den Flusslauf blickte   – ein ewiger Wächter aus Stein, stumm der Dinge harrend. Die Felsnase zwischen den tiefliegenden Augenhöhlen mit ihrer Hakenform erinnerte Finn an alte Abbildungen von Menschen der Tiefenlande, wie er sie in der Bücherey zu Mechellinde gesehen hatte: Einmal mehr fragte er sich, ob der Mürmelkopf nur von Wind und Wetter geformt oder ob er tatsächlich, vor sehr langer Zeit, von Menschenhand aus dem Stein herausgehauen worden war. Ob dies stimmte, und zu welchem Zweck, wussten auch die Firsterin , die Verständigen der Vahits, nicht zu sagen; und soweit Finn bekannt war, gab es kein einziges Schriftstück in den Büchereyen, das Hinweise über den Mürmelkopf enthielt.
    »Und was ist nun genau mit Guindas Kindern geschehen?«
    Kuaslom warf einen misstrauischen Blick zu dem strengen Felsengesicht hinauf.
    »Nichts Genaues weiß ich nicht«, antwortete er. »Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher