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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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Hügelkuppen. Erst weit in der Ferne erkannte Finn zu seiner Rechten graublaue Schatten am Horizont. Das mussten die Klippenwälder sein, hinter denen der steile Abgrund des Sturzes die natürliche Ostgrenze des Hüggellandes bildete.
    Ein leichter Wind wehte indes beständig von Westen. Die Sonne wanderte allmählich den fast durchsichtig erscheinenden Gipfeln des Khênaith Eciranth entgegen. Kuaslom nickte ein, und Finns Gedanken verloren sich im gleichförmigen Takt von Smods klappernden Hufen.
    Irgendwann schreckte ihn ein seltsamer Schrei aus seinen müßigen Gedanken. Finn blickte auf und sah einen Vogel hoch über der Heide dahinschweben, größer schien er zu sein als jeder andere, den er bis dahin gesehen. Es musste einer der Adler des jetzt ziemlich nahen Sturzes sein.
    Und doch wieder nicht. Nie zuvor hatte Finn mächtigere Schwingen erblickt, und schneller, als selbst ein Adler es vermochte, war der riesige Vogel seinen Blicken nach Norden hin entschwunden. Finn blinzelte und hoffte, er möge noch einmal über der Heide kreisen, damit er ihn genauer beobachten könne; doch der Vogel kehrte nicht wieder, und Finn war bald davon überzeugt, dass ihm seine Augen (oder seine Schläfrigkeit) einen Streich gespielt hatten. Er schalt sich einen Narren, Kuaslom nicht rechtzeitig geweckt zu haben, aber es war nicht zu ändern.
    Als Rudenforsts Dächer endlich vor ihnen auftauchten, war der Tag in einen frühen Abend übergegangen. Zartrot schimmerten die unzähligen schneeigen Kuppen des Khênaith Eciranth, die in einem weiten Halbkreis das Grün der Hügel umgaben, während lange Schatten die fernen steilen Hänge herabkrochen: graue Zungen, Vorboten der Nacht. Ein einzelner Stern zeigte sich über den Tiefenlanden. Es war Narandile, der Abendstern.
    Wind kam auf. Es wurde kühler. Der Wind blies aus Osten, als habe Narandile ihn selbst geschickt. In wenig mehr als einer Stunde würde es zu dunkeln beginnen.
    Noch lag der Wald von Rudenforst vor ihm, und jenseits seines Saumes noch ein weiteres Stück des Wegs. Finn rechnete vorund zurück: es würde knapp werden, rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit am Acaeras Alamdil zu sein. Eine Nachtfahrt im Wald war schon unter herkömmlichen Umständen kein Vergnügen, und Finn verzichtete gern darauf, wenn er es konnte. Die seltsamen Vorkommnisse der letzten Tage waren zudem zu bedenklich, um sie außer Acht zu lassen. Finn nahm sich vor, sich gehörig zu sputen.
    Wie zum Hohn fand er eine überfüllte Straße vor, die ihn zum langsamen Fahren zwang, kaum dass er das Dorf erblickte.
    Rudenforst schwirrte jetzt nur so vor Vahits, die mit der schwindenden Sonne von der Arbeit in Wald und Feld in ihre Brochs und Häuser heimkehrten. Viele trugen Äxte und Handsägen auf den Schultern, andere schwere Weidenkörbe, bis obenhin gefüllt mit abgeschlagener Baumrinde oder Bündeln voller Feuerholz. Frauen trugen ihre vor Feldfrüchten prallen Schürzen, an den Zipfeln hochgeschlagen zu Beuteln, wie Beulen vor sich her   – gemüseschwanger nannten sie das hier. Kinder liefen ihren Eltern entgegen, gefolgt von zottigen, gefleckten Hunden. Rudenforst war einer der wenigen Orte im Hüggelland, an dem es noch Hunde gab. Zwei von ihnen bellten den fremden Wagen an.
    Finn und Kuaslom sahen in den Gesichtern der Erwachsenen kaum ein Lächeln, dafür müde Mienen und sorgenvolle Stirnen zuhauf. Beide grüßten, wie es sich gehörte, höflich nach allen Seiten. Finn als Ortsfremder wurde kaum beachtet. Aber selbst der Postbote, den hier alle kannten, erntete kaum mehr als ein mattes Nicken. Die Stimmung war spürbar schlecht   – kein Wunder nach dem, was sich hier ereignet hatte. Offenbar hatte man Gatabaid noch immer nicht gefunden.
    Vor dem letzten Haus des Dorfes flatterte die Fahne der Postler, ein gelber Pfeil mit Schriftrolle auf grünem Grund, durch den sich ein dicker blauer Strich zog, im zunehmend kühleren Wind. Dies war die Gastwirtschaft Zur Krummen Kiefer , zugleich das hiesige Postlerhaus, Kuaslom Pfuhligs erklärtes Ziel.
    Genau in dem Augenblick, als Finn den Wagen vor der Schenke zum Stehen brachte, trat ein junger Vahit vor die Tür, dessen kecker Hut mit der hochgeschlagenen Krempe rot und golden im Licht der untergehenden Sonne leuchtete.
    »Bist du’s wirklich, Finn?«
    Er hörte die vertraute Stimme   – und schalt sich im nächsten Augenblick einen Narren, der seine Gedanken nicht beisammen hatte. Jemand mit einem bisschen mehr Verstand, hatte Kuaslom

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