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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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unterwegs eingeholt und eingeladen, mitzufahren. Als du aufbrachst, ahntest du nicht, schon heute Abend hier zu sein. Du nahmst vielmehr an, den ganzen Weg nach Rudenforst zu Fuß zurücklegen zu müssen. Deshalb bist du früher aufgebrochen als üblich, nämlich schon heute. Um noch vor der Dämmerung Lammspring zu erreichen, vermute ich. Wärst du morgen früh von dort aus aufgebrochen, hättest du es wie immer pünktlich geschafft.
    Das aber setzt neuntens voraus: Es gab in Mechellinde keine andern Ponys, die du ersatzweise hättest leihen oder mieten können. Sonst wärst du wie gewohnt am Mittwoch geritten. Folglich hat jemand alle verfügbaren Ponys gesammelt und fortgeschafft. Weder im Postler- noch im Mietstall war eines zu finden. Ich an deiner Stelle hätte mich auch im Landhüterhaus erkundigt, ob man dir eines ausborgen könnte. Da du aber offensichtlich keines bei mir hast, gab es auch ebendort keines mehr.
    Das heißt gefolgert zehntens : Meine Kameraden sind inzwischen aufgebrochen, in den Tiefengau, wie ich vermute; es gibt dort Zaunarbeiten zu erledigen, ein ausstehender Auftrag von Herrn Gesslo, bevor ich Mechellinde verließ. Dazu brauchten sie vor allem Packtiere, mehr als üblicherweise; und so kam es, dass du nur leer stehende Ställe vorfandest. Darüber warst du ohne Zweifel verdrossen; wer wäre das nicht? Denn es bedeutete für dich einen langen und beschwerlichen Fußmarsch gen Norden. Und mit jedem Schritt vermisstest du Truda mehr   – kein Kunststück also, wenn ich annehme, dass du inständig hoffst, Odians Salbe möge bitte wirken. Du siehst, es ist ganz einfach. Und es brauchte keine Hellseherei dafür.«
    Kuaslom starrte Mellow an wie einen plötzlich zu ihm sprechenden Hund.
    »Das ist   … höchst   … verwunderlich!« Der Postler sog hörbar den Atem ein und verstummte.
    Mellow war einer der aufmerksamsten Vahits, denen Finn jemals begegnet war; eine Eigenschaft, die wie geschaffen war für einen Landhüter. Seine klaren, klugen Augen nahmen Dinge und Zusammenhänge wahr, die anderen leicht entgingen. Mit seinem schnellen Verstand schaffte er es zudem spielend, aus wenigen Andeutungen oder Beobachtungen die ungewöhnlichsten, aber meist richtigen Schlüsse zu ziehen. Im Gegensatz zu Finn hatte Mellow stets gewusst, was er vom Leben nach der Tubertel erwartete. Er liebte die frische Luft und die Weite des Landes; im Hüggelland umherziehen zu können und den roten Hut zum Wohle der anderen zu tragen hatte ihn schon während ihrer Schulzeit vom Leben als Landhüter schwärmen lassen.
    Die Aufgabe der hüggelländischen Landhüter bestand vornehmlich darin, zu helfen   – etwa wenn jemand nicht weiterwusste oder aus eigener Kraft nicht weiterkam. Regelrechte Verbrechen, die sie hätten aufklären oder verhindern müssen, gab es unter Vahits nicht. Daher kümmerten sich die Hüter um das (unregelmäßige) Abgehen der Grenzen, sammelten (mehrheitlich) verloren gegangene Gegenstände sowie entlaufene Tiere wieder ein oder lösten (was ganz selten vorkam) Familienstreitigkeiten in den Wirtshäusern auf. Weitaus häufiger geleiteten sie bierselige Zecher nach Hause. Nicht selten besuchten sie ältere Vahits, um nach dem Rechten zu sehen. Mit am wichtigsten war die Einhaltung der Zaunbestimmung entlang des Sturzes. Dazu schritten sie zu allen Jahreszeiten die Zäune längs der senkrecht abfallenden Linvahogath ab und meldeten schadhafte Stellen und überwachten auch deren Ausbesserung.
    Es gab zu allen Zeiten nur wenige Hüter, höchstens sieben in jedem Gau. Alle Landhüter trugen als einziges Kennzeichen breite rote Hüte. Die Krempe trugen sie an der linken Schläfe umgeschlagen, eine gestickte Sonnenblume schmückte die hochgeklappte Seite. Die Gauvogte führten zudem einen sonnengelben Schal mit herabhängenden Enden im Hutband. Bewaffnet waren die Landhüter nicht, jedenfalls nicht mit Schwertern oder Lanzen; aber sie hatten Wanderstöcke mit gehärteten Eisenspitzen bei sich, die sie gegebenenfalls zu gebrauchen wussten.
    Finn, der Mellow lange genug kannte, um nicht ebenfalls verblüfft zu sein, grinste noch jungenhafter als dieser, drehte Kuaslom zu sich herum und drückte ihm den Postsack in die Hand. »Wie du vorhin sagtest: Jemand mit ein bisschen mehr Verstand ist hier. Ich hätte es mir denken können!«
    Damit schob er den immer noch sprachlosen Postboten dem Eingang des Wirtshauses zu.
    Als sie allein waren, umarmten sie sich kurz. »Mein lieber Mellow! Wie schön,

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