Themba
Kwishawa
Unter der Dusche
Ein kräftiger Wasserstrahl prasselt auf meinen Kopf. Es spritzt in alle Richtungen, die heiße Flut strömt über Schultern, Rücken und Bauch nach unten und spült die letzten Schaumreste von der Haut... Meine Augen sind halb geschlossen. Ich ziehe den nach Seife und Chlor riechenden Dampf durch die Nase. Tief einatmen, langsam zur Ruhe kommen. Die meisten Muskeln sind noch hart von der Anspannung des Spiels, am rechten Oberarm und der Schulter spüre ich dumpfes Pochen - eine schmerzhafte Prellung und ein paar Schürfwunden von meinem Sturz am Ende der zweiten Halbzeit.
Ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist.
Vom Eingang zu den Mannschaftsduschen her höre ich Andile meinen Namen rufen. Er ist schon angezogen, aber seine Stimme klingt noch immer aufgeregt: »Themba, komm endlich! Der Boss wartet schon auf dich, um dir zu gratulieren. Und all die Spinner vom Fernsehen - so ein Tor bekommen die nicht alle Tage geliefert!« Und mit einem freundschaftlichen Grinsen fügt er hinzu: »Alle wollen nur dich... Hast du die Frauen gesehen, die am Ausgang auf Autogramme warten? Mann, heute kannst du alles haben!«
Andile Khumalo ist viel älter als ich, bestimmt schon fünfundzwanzig oder so. Er ist der Star im Mittelfeld von Bafana Bafana 1 und kein bisschen eifersüchtig. Seine Freude ist ehrlich. Als ich vor vier Monaten zur Nationalelf kam, zog er mich nach dem ersten oder zweiten gemeinsamen Training brüderlich zur Seite und sagte leise: » Lumka - pass auf, Kleiner! Die wollen dich hier nur austesten. Wenn nicht alles supercool läuft, bist du ganz schnell wieder draußen. So geht es den meisten. Fußball ist kein Spiel. Hier geht’s um Kohle, knallhart. Dein Arsch ist hier nur so viel wert wie deine Leistung.«
Andile ist aus dem Eastern Cape wie ich, allerdings nicht vom Land, sondern aus der Stadt, aus iMonti oder East London, wie die Weißen sagen. iMonti ist eine Küstenstadt mit großem Hafen und sogar einem eigenen Flughafen. Ich dagegen bin zusammen mit Nomtha, dem wichtigsten Mädchen in meinem Leben, aus einem armseligen Dorf gut zweihundert Kilometer nördlich von iMonti abgehauen. Aus jenem hügeligen Gebiet von Qunu, das nur bekannt geworden ist, weil Nelson Mandela dort geboren wurde. In Mvezo, einem Dorf oberhalb des Mbashe-Flusses. Ihm zu Ehren steht dort heute ein Museum. Das ist aber auch schon alles. Die meisten Straßen sind nach wie vor nicht asphaltiert, die Leute leben in Häusern aus Lehm und Stroh und geizen dem kargen Boden ab, was die beinah überall grasenden Ziegen, Schafe und Kühe übrig lassen. Andile zieht mich bis heute damit auf: »Was, du kommst aus Qunu? Wie hast du denn da Fußball spielen können? Dort gibt es doch nur Hügel! Bestimmt habt ihr jede Halbzeit gewechselt - einmal den Berg raufschießen und danach hinterm Ball hinabrennen, was?« - » Kanye - genau so!«, antworte ich ihm und lache. Wenn der wüsste. Ich behalte bis heute für mich, dass wir früher tatsächlich nur ein aus langen Ästen gebasteltes Tor hatten und keiner von uns Schuhe besaß, von Fußballtöppen ganz zu schweigen.
Das scheint hundert Jahre her zu sein, unser Leben im Dorf: knapp zehn Hütten, die meisten oorontabile , traditionelle Rundhäuser, über vier Hügel und zwei Täler verteilt. Hier sind wir geboren, meine zwei Jahre jüngere Schwester Nomtha und ich. Hier haben wir die ersten Gerüche von Mutters Haut und ihrem weichen, warmen Tuch wahrgenommen, mit dem sie uns auf den Rücken band. Hier haben wir zum ersten Mal das kräftige Gras und die feuchte Erde unter den bloßen Füßen gespürt. Hier haben wir uns vor den unheimlichen Geräuschen der Nacht gefürchtet, wenn der Sturm vom Meer am Strohdach zerrte, und die Beruhigung am frühen Morgen erlebt, wenn Mutter als Erste aufstand und dünne Zweige zerbrach, um Feuer zu machen.
Nomtha wurde meist nach mir wach. Wie gern beobachtete ich sie im Schlaf, damals schon: Die langen dunklen Wimpern, das schmale Gesicht mit den vollen Lippen und sanften Wangen. Nomtha - alles ist sie für mich, meine ganze Familie, jedenfalls alles, was von meiner Familie übrig geblieben ist, seit wir Onkel Luthando und Großvater verlassen haben und Mutter im Sterben liegt.
Meinen Vater habe ich nie wirklich kennen gelernt. Ich war vier oder höchstens fünf, als er irgendwo in den Minen um iGoli, dem riesigen Johannesburg, verschwand und einfach nicht mehr zurückkehrte, nicht mal mehr zu Weihnachten wie die Jahre zuvor.
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