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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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Ich ging in die Richtung, in die Gandh die Kinder geschickt hatte. Der Tag verging, es wurde dunkel. Ich blieb im Wald und lauschte. Nach einigen Stunden hörte ich ein leises Schluchzen. Ich ging ihm nach und wurde fündig, sozusagen. «
    »Du hast sie wirklich gefunden?«, rief Finn freudig. »Dann ist ja alles gut.« Er sah die langen Gesichter der Rohrsangfamilie, stutzte und verbesserte sich: »Entschuldigt. Mir schwirrt der Kopf. Natürlich nicht. Du hast nur Ianam gefunden.«
    »Ja, leider. Es gelang uns nur, Ianam zu retten   – noch eben rechtzeitig. Er war halbtot; und es ist ein Wunder, wie er die Zeit allein im Wald überlebt hat. Zitternd und hungrig, voller Schrammen und voller Furcht. Fast verdurstet, aber lebend. Er hing vier Tage und Nächte in der Krone einer Eiche und traute sich vor Angst nicht mehr hinunter. Ob er nur wie eine Katze den Abstieg scheute oder ob mehr dahintersteckte? Ich musste hinaufklettern und ihn tragen.«
    »Und das Mädchen?«
    »Ianam wusste es nicht zu sagen«, warf Dhela Rohrsang ein. »Das arme Kind. Der Junge war völlig verstört, als Mellow ihn zurück ins Dorf brachte.«
    »Sie waren beide auf die Eiche hinaufgeklettert«, fuhr Mellow fort. »Einmal dort oben, beschlossen sie, die Nacht im Schutz des Baumes zu verbringen. Sie hörten ihren Vater rufen und riefen zurück, doch er hörte sie nicht. Und zum Sehen war es längst zu dunkel. Irgendwann schliefen beide ein. Als Ianam am Morgen erwachte, war seine Schwester fort.«
    »Einfach fort? War sie herabgefallen?«
    »Vielleicht. Bemerkt hatte der Junge davon nichts. Aber er stammelte etwas von Geräuschen in der Nacht, von denen er dachte, sie seien Teil eines Traums. Da war seine Schwester noch bei ihm, denn er tastete nach ihr. Sie schlief tief und fest, und auch er schlief wieder ein.«
    »Und was für Geräusche waren das?«, fragte Finn.
    »Er sagte, er habe Flügelschlagen gehört. Ein Flattern und Schwirren, wie von Schwänen, nur viel lauter und beängstigender. Und ein vielstimmiges Grunzen.«
    »Also doch Borss’ler!«, kam ein Nuscheln von Kuaslom.
    »Mit Flügeln?«, zweifelte Finn. »Mitten im Wald? Mal abgesehen davon, dass Borstler keine Flügel haben.«
    »Die Eiche stand nahe einer großen Lichtung«, erwiderte Mellow düster. »Ich ging dorthin und fand Spuren im Gras. Es war niedergetrampelt oder niedergewälzt, wie es die Borstler tun. Aber Borstler waren es nicht, denn ich fand Abdrücke von wenigstens einer großen Klaue.«
    »Einer Klaue?«, entfuhr es Finn. »Bist du sicher?«
    »Ich würde meinen Hut darauf verwetten. Die Klaue allein maß die Länge eines Vahitfußes. Und der dazugehörende Vogeltritt muss etwa dreimal so groß gewesen sein.«
    »Bei allen Waldbaghulyen!« Finn holte tief Atem, tastete nach Banavreds Brief in seiner Weste und reichte ihn Mellow. »Lies.«
    Wieder wurde der Brief entfaltet. Während Mellow aufmerksam las, leerte Finn nachdenklich seinen Krug.
    Als Mellow das Papier sinken ließ, starrte er seinen Freund betroffen an. Finn sah, dass seine Hände zitterten.
    »Arme Gatabaid!«, brachte Mellow schließlich hervor. »Sie wird nicht mehr am Leben sein!«
    Als er sah, wie ihn alle außer Finn verständnislos anblickten, setzte er an, um ihnen den letzten Abschnitt leise vorzulesen. Doch schon nach drei oder vier Worten brach er ab, denn eben in diesem Moment erhoben sich die anderen Vahits in der Schankstube, tranken ihre Krüge aus und verabschiedeten sich. Es gab Stühlerücken und ein wenig Unruhe. Einer trat gar vor und reichte Mellow stumm die Hand. Zwei andere schlugen ihm anerkennend auf die Schulter und sagten Rorig, er könne wahrlich stolz auf seine Söhne sein. Besonders in diesen Zeiten. Rorig erwiderte nichts außer »Guten Heimweg«, aber Finn sah seine Augen leuchten, als er ihnen nachblickte.
    Als sie fort waren, las Mellow ihnen Banavreds Worte vor. Kuaslom schnarchte leise.
    »Na bitte! Etwas ist im Wald, wie ich sagte!«, rief Rorig, kaum dass sein jüngster Sohn geendet hatte.
    »Und wir wissen jetzt, es hat Flügel«, sagte Sahaso grimmig.
    »Und Klauen«, sagte Dhela und schüttelte sich.
    »Dreimal größer als Vahitfüße.« Kampo sah seinen älteren Bruder an und nickte heftig.
    »Auf der Fahrt hierher sah ich am Himmel einen schwarzen Vogel.« Finn flüsterte unwillkürlich in die allgemeine Aufregung hinein. Die anderen schwiegen. »Er war meiner Einschätzung nachfünfmal größer als ein Adler und schnell wie der Wind. Und es war

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