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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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dann rutschte er auf dem Bauch so weit über den Rand, wie es eben noch ging. Jetzt sah Finn, wie er etwas herunterließ: Es war das andere Ende des Seils, und als es vor Finns Nase baumelte, wies Mellow ihn an, sich daran festzuhalten. »Ich ziehe euch beide zu mir herauf, zumindest so weit, bis du mir Gatabaid geben kannst. Schaffst du das?«
    Finn ließ den Stein, an dem er bisher gehangen hatte, los. Er rutschte mit der Hand ein bisschen an Mellows Seil nach unten, aber dann hielt sein Griff; er konnte es sich sogar ums Handgelenk schlingen und war bereit.
    »Zieh einfach!«, rief Finn von unten.
    Als Mellow aufstand und das Seil Hand über Hand einholte, erkannte Finn im fahlen Schimmer des rußenden Stricks wulstige Ränder mit dahinterliegenden Vertiefungen im sonst glatten Turmstein: die Griff- und Trittmulden, von denen Mellow gesprochen hatte. Tatsächlich hatte er eine solche Mulde erwischt, als er seinen Halt gesucht hatte   – hätte er seine andere Hand frei gehabt und mit ihr oberhalb der Mulde getastet, hätte er eine weitere und über ihr noch eine gefunden. Die Steinmetze, die einst den Brunnen in den Fels getrieben und ihn von innen ausgemauert hatten, waren auf den glücklichen Gedanken verfallen, mit diesen wulstigen Mulden eine Art Steinleiter zu bauen, die es ermöglichte, ohne Seil hinauf- oder hinabzusteigen.
    Als Finn seinen ersten Fuß in die unterste der Mulden setzte, ging es leichter. Mellow nahm ihm das Mädchen ab; dann schwang sich Finn, von Mellow unterstützt, in die große Öffnung hinein. Erschöpft ließ sich der junge Vahit gegen die eine Wand sinken, und während Mellow den kokelnden Strick zwischen sie hielt, grinste der Hüter ihn an.
    Dann sahen sie nach Gatabaid. Mellow nahm seinen Mantel ab und wickelte sie darin ein. Wärme war jetzt das Dringendste, dessen sie bedurfte. Er strich dem Mädchen über die Wange und tastete nach ihrem Puls. Ihr Gesicht war blass, ihre Lippen leichtbläulich. Das verletzte Ohr war verkrustet und blutete nicht mehr. Er atmete auf, als er spürte, dass ihr Herz noch schlug.
    »Um ihren Arm kümmern wir uns später, Finn. Jetzt müssen wir erst einmal aus diesem Tunnel raus.« Damit stand er auf und hielt das glimmende Strickende ein Stück weit von sich fort. Finn nahm Gatabaid wieder auf den Arm.
    Die Öffnung, in die sie gekrochen waren, schien wirklich der Beginn eines Tunnels zu sein: Die Decke war leicht gewölbt, die Wände und der Boden glatt behauen, aber nicht länger gemauert. Sie standen auf nacktem Fels, in dessen Mitte eine Rinne verlief, die Tropfwasser in den Brunnen zurückleitete. Als sie ein paar Schritte gingen, merkten sie, dass der Boden leicht aufwärtsführte. Mellow wickelte den Strick um die Spitze seines Stabes, und indem er ihn weit vor sich hielt, konnten sie ein oder zwei Schritte weit den Weg vor sich im glimmenden Schein erkennen. Die Tunnelbreite blieb gleich, doch die Decke hob sich schon nach kurzer Zeit. Der Gang war nun so hoch, dass sich Menschen einigermaßen aufrecht in ihm bewegen konnten.
    »Was meinst du: Ob es hier Ratten gibt?«, fragte Mellow zögernd. »Na, was rede ich   – bestimmt gibt es welche hier. Sie lieben Orte wie diesen. Und schätzen es gar nicht, wenn man sie stört. Lass uns bitte vorsichtig sein.«
    So setzten sie behutsam einen Fuß vor den anderen. Schon nach einigen wenigen Schritten machte der Tunnel einen sanften Bogen nach links. Hinter der Kurve wurde der Gang eben; doch schon bald ging es so sacht abwärts, wie es zuvor aufwärtsgegangen war, als habe der Tunnel einen unsichtbar unter ihnen liegenden Hügel überschritten und schicke sich nun an, eine entfernte Talmulde zu erreichen. Der Gang verlief schnurgerade noch eine Weile abwärts, ehe er endlich seinen tiefsten Punkt erreichte. Von da an ging es wieder aufwärts, und Finn fragte sich, wohin sie wohl gingen, denn im kreisrunden und stockdunklen Brunnenschacht hatte er jedes Gefühl für die Himmelsrichtungen verloren.
    Die Luft war kühl, aber nicht stickig; je weiter sie sich von dem Brunnen entfernten, desto weniger feucht wurde es. Sie stießen weder auf Fußspuren von Ratten noch auf Ratten selbst. Einzig Spinnen schienen hier unten zu Hause zu sein. Ihre Netze spannten sich kreuz und quer durch den Tunnel und waren unversehrt: Ein sicheres Zeichen, dass die Gidrogs noch nicht hier unten gewesen waren und diesen Gang höchstwahrscheinlich nicht kannten. Zum ersten Mal seit seinem waghalsigen Sprung in den

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