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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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als sehend schnitt er an den Hölzern herum. »Was tust du da?«, wisperte Mellow.
    Der Davenamedhir wickelte etwas ab und befestigte es an dem längeren Ast. Es summte, als er daran zupfte. »Ich habe mir in aller Eile einen Bogen gebaut«, erklärte er. »Keinen wirklichen Bogen; eher ein Kinderspielzeug, das nicht viel taugt. Allerdings wird es seinen Zweck erfüllen, denke ich. Ein Stück Sehne habe ich glücklicherweise immer bei mir. Diese Zweige hier sind allerdings nicht sehr geeignet und werden vermutlich nicht weit fliegen, wenn man es denn fliegen nennen kann; trudeln werden sie wohl eher. Auch fehlt ihnen die Befiederung, und zielen ist damit völlig unmöglich. Aber darauf kommt es gar nicht an.«
    »Worauf denn?«, fragte Finn verständnislos.
    »Ich will so tun, als würde jemand mit Pfeilen schießen«, antwortete Circendil. »Ich will das Schwirren eines Pfeils hören lassen. Das und das Klappern, wenn Holz auf Stein aufprallt. Diese Geräusche sind unverkennbar, ein jeder Krieger kennt und fürchtet sie. Sie bedeuten, dass ein Schütze irgendwo in der Nacht lauert, und ich hoffe, sie werden denken, ihr alter Freund Graupfeil sei wieder da. Nun kommt und seid so leise wie irgend möglich.«
    Er schulterte seinen Rucksack, nahm die Zweige und seinen behelfsmäßigen Bogen und tauchte in das Dunkel des Torwegs ein. Die Vahits folgten.
    Als sie die zwanzig Klafter des Nordwalls durchschritten hatten, sahen sie voraus im Feuerschein die Brücke schimmern.
    Die Straße lief gerade über den im Dunkeln liegenden Platz. Dabei senkte sie sich dem Brückenkopf zu. Das hiesige Ende der Brücke lag eingehüllt in Schwärze und schien aus wenig mehr als formlosen Schatten zu bestehen. Eine breite Brüstung verlief zu beiden Seiten; für die Vahits war sie zu hoch, um über sie hinweg auf den Wirrelbach zu blicken. Aber sie hörten ihn unter sich um den Pfeiler tosen: Es sauste und brauste so laut, als gingen sie überein Wehr oder unter einem Wasserfall hindurch. Jedes andere Geräusch ertrank darin; und in der Mitte der Brücke hätten sie sich sogar in gewohnter Weise unterhalten können, ohne dass sie Gefahr gelaufen wären, am Ufer bemerkt zu werden.
    Dann erreichten sie den Rand des zuckenden Lichtscheins. Von dem Durchlass des Torwegs, wo die beiden Gidrogs Wache hielten; zwischen ihnen und ihren Feinden lagen vielleicht noch neunzig Vahitlängen. Etwa auf der halben Strecke zwischen Brückenende und Torweg brannte das Wachtfeuer; die Flammen loderten hoch in die Nacht. Der Tanz der Flammen wiederholte sich, ins Gespenstische vergrößert, auf der vor ihnen aufragenden Krümmung des südlichen Walls.
    »Wartet hier«, sagte Circendil. »Sie wenden uns immer noch den Rücken zu. Ich werde das Feuer als Deckung benutzen. Wartet, bis ihr mein Zeichen seht. Wenn ich zweimal winke, lauft ihr los   – bis zur Mauer, und wenn ihr könnt, immer weiter und hinaus. Haltet euch jenseits der Wehrtürme sofort links und zögert nicht; ich folge euch nach, so rasch ich kann. Bleibt auf keinen Fall stehen und wartet. Wenn ihr dicht entlang der Mauer lauft, kommt ihr bald in ihren Schatten. Dort werden sie euch am wenigsten suchen. Alles Weitere muss sich finden. Viel Glück.« Circendil nickte ihnen aufmunternd zu. Dann lief er geduckt zu dem brennenden Holzstapel hin.
    Sie sahen, wie er in seiner Nähe niederkniete und den Ast, den er einen Bogen nannte, spannte. Einer der hastig zurechtgeschnittenen Zweige lag an seiner Wange.
    Plötzlich ließ er die Sehne springen. Der Zweig verschwand schwirrend im Dunkeln. Wo und ob er die Mauer überhaupt traf, konnten sie nicht erkennen. Der Mönch bedeutete ihnen mit einem Senken des Arms zu warten; er legte einen zweiten Pfeil ein und sandte ihn dem ersten hinterher. Dann sprang er auf und winkte   – zweimal.
    »Jetzt!«, rief Mellow. Beide nahmen Gatabaid kurzerhand in dieMitte und rannten mit ihr die Brücke entlang. Sie sahen nichts außer hochzüngelnden Flammen. Circendil war verschwunden.
    »Nach links!«, keuchte Mellow.
    Die Hitze des Feuers trieb sie in einem Bogen um die Flammen herum, und jetzt sahen sie den Durchlass deutlich vor sich. Ein zweites, ebenso großes Feuer brannte mitten auf der Straße, die ins Hüggelland hineinführte, vielleicht vierzig Klafter von der Mauer entfernt. Das Tosen des Wassers blieb zurück und wich dem Knacken und Fauchen der vom Wind zum Lodern gebrachten Scheite vor und hinter ihnen.
    »Wartet!« Mellow zog sie links neben den

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