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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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gegriffen, hatte ihr eigener Stein sie gleichsam selbst zerschmettert?
    Selbst heute noch wirkte der Ringwall uneinnehmbar und wehrhaft, und Finn versuchte, sich vorzustellen, wie er wohl ausgesehen hatte, als die Menschen Benutcanes ihn einst besetzt hielten. Für einen Moment sah er vor seinem geistigen Auge blitzende Rüstungen hinter dräuenden Zinnen, Speerspitzen, gehalten von weitsichtigen Spähern, flatternde Banner im Wind der Berge, geschäftiges Treiben entlang der Straße und im Innern der Mauern. Und aus irgendeinem Grund glaubte er, den erschütternden Klang von Trompeten zu hören.
    Der Moment verging; und Finn sah, dass der Ringwall zu ihrer Rechten am Fluss begann und wie ein gespannter Bogen zu ihm zurücklief, während der Wirrelbach gleichsam die Sehne bildete. Der Tennlén Alam, der sich im Stechfichtental noch durch Heide schlängelte, verlief innerhalb der Senke geradewegs auf den steinernen Bogen der Benutcaerdirin zu wie ein Pfeil, der nach Norden auf das Gebirge zielte. Und dort, wo die Hand des Schützen den Bogen ergreifen würde, befanden sich zwei wuchtige Türme, zwischen denen der Alte Weg einst an einem Tor geendet hatte. Jetzt war dieses Tor verschwunden, und an seiner Stelle gähnte eine überwölbte Öffnung, um ein Vielfaches höher als breit. Der Weg strebte dahinter über einen freien Platz zwischen Mauer und Fluss ungehindert hinab bis zur Wirrelbachbrücke.
    Von ihrer erhöhten Warte konnten sie über die westlichen Zinnen des Nordwalls hinweg einen Teil der Brücke sehen. Ein mächtiger Pfeiler stand mitten im schäumenden Wasser. Sein Fuß wargeformt wie der Bug eines Schiffes, das den Fluss hinauffuhr. Tosend teilte er unerschütterlich den Wirrelbach, und zwei geschwungene Bögen aus Caeraban wölbten sich über der Schlucht, aus der Dunst oder feiner Nebel wie Qualm aufstieg.
    Am jenseitigen Ufer spiegelte sich das Bild. Auch hier querte die Straße schnurgerade einen freien, halbmondförmigen Platz, stieg dabei an und verschwand zwischen den Mauern im torlosen Rachen zweier verbundener Wehrtürme; auch auf der Südseite bildeten sie den Mittelteil des Ringwalls, nur dass dieser sich nach Süden bog und seine Arme dem Fluss entgegenstreckte. Aber das Bild vom Spiegel traf es nicht ganz, wie sie erkannten, als sie genauer hinblickten.
    Der Nordwall war außen glatt und abweisend zu den Bergen hin. Er richtete seine Verteidigungskraft dem Stechfichtental und damit dem Tennlén Alam entgegen, dem einzigen Weg, den ein anrückender Feind hätte nehmen können. An seiner dem Wirrelbach zugewandten Seite indes gab es Rampen, Treppen und Plattformen, die der Bemannung des Walles dienten, um die Brücke zu verteidigen.
    Der Südwall war innen glatt und abweisend, auf der zur Brücke gerichteten Seite; er stellte die zweite Verteidigungslinie dar, falls der Nordwall eingenommen und damit die Brücke überrannt würde.
    Der gähnende Durchlass zwischen den Türmen, der einst von einem zweiflügeligen Bogentor verschlossen worden war, schien von ihrer Warte aus nur ein schmaler Spalt zu sein, während er in Wirklichkeit genug Platz für sieben oder acht Ponyreiter bot, die nebeneinanderritten. Das war der einzige Zugang ins Hüggelland, der ihnen offen stand. Finn wurde mutlos, als er sich vorstellte, genau dort, eingezwängt von mitleidslosen Mauern, auf die Gidrogs zu treffen. Mellow schien an Ähnliches zu denken. Er blickte von einem Ende des Walls zum anderen und schüttelte dann den Kopf.
    »Wo sind Eure Wachen, Herr Medhir?«, fragte er leise.
    Circendil kniff seine Augen zusammen und nickte dann, als gewahre er lediglich, was er ohnehin erwartet hatte. »Seht«, sagte er nur.
    Eben jetzt flammte ein Licht unweit des Spaltes auf.
    »Eine Fackel«, sagte Finn.
    »Ein Feuer«, meinte Mellow, »eine Fackel wäre kleiner.«
    »Es ist sogar ein großes Wachtfeuer«, sagte Circendil. »Der Wall in all seiner Mächtigkeit trügt das Auge. Er lässt alles in seiner Umgebung klein aussehen. Seht   – sie schüren die Flammen. Sie vertreiben damit die Nacht. Sie werden es bis zum Morgengrauen lodernd brennen lassen.«
    »Ich frage nur ungern«, sagte Finn. »Aber wie wollt Ihr Euch dort vorbeischleichen? Noch ist es dämmrig; doch wenn es richtig dunkel ist, wird das Feuer die Straße und den Platz vor dem Wall hell erleuchten. Und aus ist es mit Eurer Unsichtbarkeit.«
    Circendil saß mit unbewegtem Gesicht neben ihm und starrte über den Fluss. Erst nach einer Weile antwortete er.

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