Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Krieg, meine ich, Lukathers Krieg – was ist, wenn er soeben begonnen hat? Hier bei uns, und eben jetzt! Und zwar, weil es hier im Hüggelland tatsächlich einen Hinweis gibt auf das, wonach du suchst? Und … und weil er dieses Tränendings gleichfalls zu finden hofft?«
Circendil und Ludowig Gurler sahen einander bestürzt an.
»Wenn du nicht schon säßest«, sagte der Witamáhir; und etwas wie Stolz schwang bei aller Betroffenheit in seiner Stimme mit. »Wenn du nicht schon säßest, dann würde ich jetzt zu dir sagen: Vortrefflich – setzen! Das war geschickt um’s Eck und daher klug gedacht, mein Junge. Was meint Ihr, Herr Mönch?«
Circendil trank seinen Tee aus und schaute beide über den Rand der leeren Tasse hinweg an, die in seinen Händen seltsam winzig wirkte.
»Es gäbe dem Ganzen einen Sinn«, antwortete der Medhir. »Einen furchtbaren Sinn. Einen Sinn, der wohlgemerkt ganz zu Lukathers dunklen Umtrieben passt. Was es umso wahrscheinlicher sein lässt. Wenn du Recht hast, Finn – und ich fürchte, das hast du! –, dann befindet sich das Hüggelland in noch weitaus größerer Gefahr, als wir alle dachten. Und nicht nur das Hüggelland – dann ist ganz Kolryn bedroht! Lukather streckt niemals seine Hand aus, um etwas zu ergreifen und es dann wieder loszulassen. Sollte er hinter dem Schrecken beim Acaeras stecken, dann wird er nicht eher ruhen, als bis alle Königreiche Kolryns gefallen sind. Möge Aman uns beschützen! Dann ist das Hüggelland der Anfang. Der Beginn eines Feldzugs, dessen Ziel es ist, seinen alten Feinden, den Féar und den Dwargen, einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Denn was alle längst vergessen haben: Kolryn ist schon lange keine Bedrohung mehr für ihn. Benutcane steht nicht mehr. Die einstige Trutzburg ist gefallen! Zu lange haben sich Féar, Dwarge und die Dirin in Sicherheit gewiegt. Wenn du Recht hast, Finn, dann wehe uns allen. Untergang droht dem Hüggelland!«
Er hatte kaum ausgeredet, da kam Tuom zurück. Er meldete, die gerufenen Herrschaften seien eingetroffen und warteten ungeduldig im Lesesaal des Buoggahauses. Ludowig Gurler bat seine beiden Gäste, ihn dorthin zu begleiten.
Gemeinsam verließen sie das Máhirhaus. Sie nahmen den kürzeren Weg an der Linde vorbei und über den Rasen, und Ludowig schickte Tuom zum Tor, um es für die Nacht zu versperren. Finn konnte sich nicht erinnern, wann dies jemals geschehen war.
Derweil nahte der Abend. Die Sonne versank blutrot hinter dem gestochen scharfen Rand, den das Dach des Máhirhauses mit dem gelblichen Himmel bildete. Hinter den Fenstern der Colpia flammten erste Lampenlichter auf, die Vorboten der Dämmerung von den Schriffertischen vertreibend. Als sie an den Bogenfenstern entlanggingen, wünschte sich Finn, es möge irgendwo auch Lampen des Herzens geben, die in der Lage wären, die schwarzen Schatten der Furcht zu vertreiben, die sich mit jedem Atemzug inseiner Brust breiter und breiter machten. War ihm im Arbeitszimmer des Witamáhirs noch eisig gewesen, so dünkte ihn die Luft im Innengarten der Bücherey plötzlich schwül und schwer. Außer ihren Schritten und dem Plätschern des Brunnens umfing sie eine tiefe, unbewegliche Stille, in der nicht einmal die Vögel sangen. Auch die Vahits und der Mensch schwiegen, ein jeder den eigenen Gedanken folgend. Später sollte Finn sich an jenes Schweigen im Garten ein Leben lang erinnern – für ihn war es die sprichwörtliche Ruhe vor dem drohenden Sturm gewesen.
16 . KAPITEL
Die Bedrohung des Hüggellandes
K ERZEN WAREN IN ALLEN Räumen der Buogga streng verboten. Zu gefährlich war eine jede offene Flamme. Deshalb leuchteten auch in den Fluren nur abgeschirmte Laternen, die in eigens dafür geschaffenen Nischen standen und deren Glasfenster seltsam gebogene Lichtstreifen an Wand und Decke warfen.
Während sie Ludowig folgten, erläuterte der Witamáhir dem Mönch die Aufteilung der Bücherey. Er verwies auf den einen oder anderen ehrwürdigen Colpianten, während sie im Erdgeschoss daran vorübergingen. Hier stünden ausnahmslos die neueren Werke, erklärte er: Hüggellandbücher, von Vahits verfasst und den Alltäglichkeiten des Vahitlebens gewidmet.
»Kaum jemand in den Außenlanden weiß«, verkündete er nicht wenig stolz, »welche Kostbarkeiten allein hier unten zu finden sind. Ihr werdet nirgendwo bessere Abhandlungen über die Gartenbaukunst finden. Oder über das Bierbrauen, falls Ihr dafür mehr zu haben seid.« Er
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