Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
schon, was sie sind?« Und an Rorig gewandt:»Steig ab, Gevatter. Tritt näher ins Licht, damit ich dein Gesicht sehen kann!«
Mellow wollte aufspringen, doch Circendil kam ihm zuvor.
Er schwang sich von der Pritsche auf die Straße und trat nahe an eine der Fackeln heran. Sein langer Mantel bauschte sich im Wind, und er sah darin plötzlich breiter und größer und gewaltiger aus; ein Wesen aus einer längst vergangenen Zeit.
»Lasst die Albernheiten, Herr Landhüter. Ihr wisst sehr gut, wer ich bin. Bei mir sind rechtschaffene Vahits und sonst niemand. Es sind Mellows Verwandte, um genau zu sein. Wir haben Schlimmes hinter uns, wie Ihr vielleicht sehen könntet, wenn Ihr Eure Augen aufmachtet, und wir sind wirklich müde. Lasst uns fahren.«
»Ich habe Befehl, niemanden durchzulassen. Weder hinein noch hinaus. Auch Euch nicht, Herr Mönch oder was immer Ihr seid. Gerade Euch nicht. Jedenfalls nicht, solange die Lage nicht geklärt ist. Was verbergt Ihr da auf dem zweiten Wagen?«
Circendil holte tief Luft, ehe er antwortete.
»Verbergen? Jedenfalls nur wenig Geduld, falls Ihr darauf hofft. Aber da Ihr fragt, so erfahrt, dass wir traurige Fracht bringen. Tote Vahits, gefallen bei der Schlacht am Mürmelkopf. Und ihnen allein zu Ehren sage ich Euch: Macht endlich den Weg frei! Oder ich werde ihn mir freiräumen. Und mir danach Euren Hut vorknöpfen! Habt Ihr in Eurem kurzen Geist schon vergessen, wer den Befehl über die Landhüter besitzt?«
»Ich bin nur meinem Gauvogt verpflichtet!« Es war heisere Galle, die Bholobhorg spie, doch sie war nicht weniger bitter.
»Nein, du bist Herrn Wredian als Hauptmann verpflichtet!«, rief Mellow, der nun genug hatte und neben den Davenamönch trat. »Wie Herr Gesslo auch. Und unser Bürgermeister hat vor wenigen Stunden unseren Gast, Herrn Circendil aus Vindland, zum Herrn der Vogtey ernannt. Er ist augenblicklich dein Vorgesetzter! Also gib den Weg endlich frei, Bhobho, denn du hast den Befehl dazu eben gehört, wenn deine Ohren nicht gerade mit Pfannkuchen verstopft sind. Oder ich werde dich der Befehlsverweigerung anklagen,sobald ich Frau Amagata nur sehe, verlass dich drauf! Zeugen gibt es genug!«
Bholobhorg lachte. Es klang wie Kieselrasseln in einer Regentonne.
»Du?«, rief er. »Ausgerechnet du hast gar nichts zu vermelden. Du hast deinen Hut und deine Rechte verloren. Du bist vom Dienst strafenthoben, zu deiner Schande, das scheinst du vergessen zu haben! Und Ihr wohl ebenfalls, Herr Mönch, wo wir schon von vergessen reden – da hier jemand nach kurzem Geiste fragte.
Soweit ich mich erinnere, hat man dich strafversetzt zum Stallausmisten, nicht wahr, Mellow? Und selbst davon hast du dich in dieser Nacht einfach fortgestohlen: ohne Erlaubnis und ohne Befehl noch dazu, wie bei deiner Anklage angemerkt werden sollte. Falls du’s noch nicht weißt: Herr Gesslo hat deine unehrenhafte Entlassung angekündigt! Du wirst aus dem Dienst gegangen! Und das zu Recht, wenn du mich fragst. Und schau dich nur an, wie du rumläufst! Eine Schande für jeden Landhüter! Und was Euch betrifft, Herr Wuocht – sucht Euch einen anderen Hut zum Vorknöpfen, wenn Ihr es nicht lassen könnt. Doch lasst mich damit gefälligst in Ruhe! Bis zum Morgengrauen darf niemand passieren! Punktum! Das hat Herr Gesslo befohlen! Und so wird’s getan! Verstanden?«
Er nickte selbstgefällig und schickte um Beifall heischende Blicke in die Runde der hinter ihm wartenden Vahits.
Circendil und Mellow sahen sich an. Mellow nickte sein Einverständnis. Er winkte seinen Brüdern. Auch Finn kletterte vom Wagen und stellte sich neben sie.
»Ich bin mehr als versucht«, erwiderte Circendil gefährlich leise, »Euch meine Befehlsgewalt in Form meiner Schwertspitze dahin zu stecken, wohin es mir eben recht erscheinen will. In Euren Allerwertesten, werter Herr, falls Ihr nicht wisst, was ich damit meine! Genug jetzt der Albernheiten! Schafft Platz für die Wagen! Und wenn noch irgendjemand Einwände hat, vergesse ich etwas. Nämlich meine guten Sitten. Auf drei! Räumt die Straße frei!«
Er brauchte nicht zu zählen.
Die Rohrsangs vor und die Vahits hinter der Barrikade packten zu, Fässer und Deichseln wurden beiseitegeschoben, und Finn und der Mönch führten die Ponys zu Fuß durch den sich ergebenen Spalt. Sie überließen es Bholobhorg, den Verhau erneut hinter ihnen zu verschließen.
Circendil trat vor Bholobhorg hin und sagte: »Ich entlasse dich nicht, obwohl ich es als Vogt der
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