Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
dich über die neuerliche Gelegenheit. Ich für mein Teil werde Herrn Banavred jedenfalls um Erlaubnis fragen, und so er einwilligt, werde ich mir den Spaß so schnell nicht entgehen lassen. Glastau und Sternenrohre, du liebe Güte! Was sagt man dazu?«
Da bogen sie um das kleine Gehölz herum und sahen den weißen Turm auf seiner Insel plötzlich vor sich aufragen.
Acaeras Alamdil – der Alte Turm – war das älteste noch betretbare Gebäude des ganzen Hüggellandes, und es waren Menschen gewesen und keine Vahits, die ihn vor undenklicher Zeit errichtet hatten. Wie sie von Ludowig wussten, hatte der Turm ebenso wie die Brücken im Süden schon hier gestanden, als seinerzeit das Volk der Vahits erstmals den Fuß ins Hügelland setzte. Und das war immerhin fast auf den Tag genau 697 Jahre her.
Und selbst damals war der Turm längst alt gewesen; alt, aber zum Erstaunen der Vahits sehr gut erhalten: So gut wie unversehrt, traf es wohl am besten. Der Acaeras Alamdil war sechsunddreißig Stockwerke hoch und in seiner unteren Hälfte viereckig. Er stand auf einem breiten und hohen Felsensockel, den der Wirrelbach aus dem Tal herausgewaschen hatte. Der Sockel bildete eine schräg ansteigende Halbinsel aus gewachsenem Fels, um die der rasch strömende, kleine Fluss zwischen steil abfallenden Ufern dem Sturz entgegenschäumte. Ein in den Stein getriebener breiter Graben, durch den der Wirrelbach seitdem seine Wasser ebenfalls schickte, trennte den Felssockel vom Rest des Landes und ließ die halbe zur vollständigen Insel werden.
Eine gleichfalls steinerne Brücke, die trotz des gleichen hohen Alters im Morgenlicht glänzte wie frisch gefallener Schnee, überwand den Graben und führte in den Innenbereich der Vorburg. Noch immer standen nicht nur allein der altehrwürdige Acaeras, sondern auch die Mauern und Wehrgänge aufrecht, die ihn umgaben. Selbst einige der Häuser, die einmal im Innern der Einfriedung errichtet worden waren, wären noch bewohnbar gewesen, wären ihre Dächer heil und ihre Kamine ganz geblieben. Nur waren sie nicht mit dem weißen Stein erbaut worden, und Stürme und Unwetter hatten sie abgetragen. In die Innenräume waren nach und nach Sand und Laub geweht worden und hatten sie teilweise zugeschüttet. Wind und Regen mochten auch an den Zinnen und Wehrgängen genagt haben, doch vergeblich; allein hölzerne Balustraden waren eingestürzt und längst zu Staub zerfallen; alles aus dem fugenlosen weißen Stein Gefertigte aber hatte dem Atem der Zeit mit geheimnisvoller Kraft widerstanden.
Über welches überragende Wissen und über welch unvorstellbare Kunstfertigkeit die einstigen Baumeister verfügt hatten, um dem Verfall derart zu trotzen, entzog sich Finns Verständnis vollständig. Ihr Können, dachte er, musste um ein Vielfaches höher entwickelt gewesen sein als das selbst des begabtesten Firsterirs unter den Vahits. Und die Firsterin genossen als Gelehrte noch höheres Ansehenals die Cuorderin. Doch das Wissen der Erbauer von Turm und Brücken überragte das der Vahit-Weisen wenigstens so hoch, wie der Acaeras Alamdil die Brochs des Hüggellandes überragte.
Benutcaerdirin – Menschen aus dem Reich von Benutcane – waren die Bauherren gewesen. Stolze, kühne Menschen, die einst hier im Hüggelland gelebt hatten, bis ihr Schicksal sie ereilte. Weshalb sie diesen Turm und die Mauern errichtet hatten, hatte auch Ludowig Gurler nicht zu sagen gewusst; vielleicht, um die Brücke und den Zugang ins Hüggelland zu schützen.
Doch vor welchem Feind? Und war er gekommen und hatte die Menschen vertrieben? Oder war er ferngeblieben? Und gab es diesen Feind heute noch? Und hatte er je den Weg ins Hüggelland entdeckt? Und wohin waren die einstigen Herren des Landes entschwunden? Waren sie freiwillig gegangen, oder hatte man sie vertrieben? Das waren Fragen, die Finn damals Herrn Ludowig gestellt hatte. Antworten allerdings hatte er nie erhalten. Ludowig Gurler hatte nur Dazu kommen wir später gegrummelt und dann vorzeitig die Stunde beendet. Doch zu einem Später war es nie gekommen. Heute begriff Finn, was er vor mehr als fünfzehn Jahren als Schüler noch nicht verstanden hatte: Die Cuorderin und Firsterin im Hüggelland lebten in der festen Überzeugung, niemand kenne den Weg auf die Linvahogath hinauf, ob nun Freund oder Feind. Niemand, außer den Vahits. Darum käme ihn auch niemand hinauf, weshalb es müßig war, sich mit solchen Fragen zu befassen. Damit hatte es sich!
Wer den
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