Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
in den grauen Himmel empor, obwohl die wahren Ausmaße nur schwer zu schätzen waren; er mochte sogar noch höher sein. Wuchtig stand er da, rechtwinklig und mit Seiten von gleicher Länge. Die vier vorspringenden Ecken waren durch breite, senkrecht aufstrebende Rillen oder Rinnen gebrochen, die ohne Absatz bis zur Spitze hinaufführten. Etwa in der Mitte des Acaeras zeigten Zinnen eine rundum verlaufende Plattform an, aus der die zweite Hälfte des Turms emporwuchs: Doch nunmehr wölbte sich seine Mauer ohne alle Winkel, glatt und rund und mächtig, durchbrochen nur von den vier Rillen, die von der quadratischen Basis ausgehend auch die Rundung entlang fortliefen. Sich allmählich verjüngend strebte der Turm mit seiner Spitze den Wolken entgegen – eine steinerne, weißleuchtende Nadel, die in den Himmel stach. Oben auf dem höchsten Punkt, kaum mehr mit dem Auge zu erkennen, dort, wo die seltsamen Seitenrillen zusammenzulaufen schienen, mochte ein Ausguck sein; direkt darunter meinte Finn, ein winziges Fenster zu sehen.
»Na, wer sich unbedingt klein fühlen will, der sollte genau hier stehen und hinaufstarren«, murmelte Mellow fassungslos. »Ich meine, das ist …« Er verstummte und stützte sich an der Mauer ab, den Kopf weit in den Nacken gelegt.
Auch Finn schwindelte es, als er sich vorstellte, wie Banavred des Nachts dort oben an der Spitze stand, den Sternen näher als irgendwo sonst: ein einsames Paar Augen, gerichtet in endlose Fernen.
Der eigentliche Acaeras mit seinen Nebengebäuden war seit der Ankunft ihres Volkes, wenn auch selten, so doch immer wieder mal bewohnt gewesen; meistens von Einsiedlern, wie auch Banavredeiner war. Vahits mochten Menschenbehausungen nicht sonderlich, sei es wegen der Fenster, die zu hoch angebracht waren, um hinauszusehen, ohne zuvor auf einen Stuhl zu steigen; oder wegen der sich darin befindenden Stufen, die unbequem waren für die Länge ihrer Beine.
Auch hier führte eine breite Steintreppe mit unangenehm hohen Stufen zu einer gewaltigen Steintür hinauf, deren Schwelle sich wenigstens acht Manneslängen über dem Erdboden befand. Weiter drüben, an der linken Seite des Innenhofes erkannten sie hölzerne Unterstände und ein weiteres Haus, das kleiner als die beiden anderen war und gleichfalls ein Dach aus Holzschindeln trug. Finn wusste von seinem ersten Besuch, dass Banavred dort seine Schafe und Ziegen bestallte. Ausgetretene Lehmpfade zeigten, welche Wege Banavred und Anselma häufiger gingen: von den Türen zum Stall und zum Brunnen.
Denn einen Ziehbrunnen vor dem Stallgebäude hatte der alte Vahit schon vor Jahren in Betrieb genommen; fast erwartete Finn, Herrn Banavred dabei zu überraschen, wie er an der Kurbel drehte oder die Hoffläche harkte. Laub genug dafür raschelte jedenfalls in dem Wind, der durch den Eingang zog.
Stattdessen starrten die beiden Vahits auf einen großen Feuerplatz inmitten des Grases, in dem noch glimmende Asche schwelte. Rauchschwaden trieben träge zwischen den trutzigen Steinwänden dahin.
Der üble Geruch war jetzt übermächtig und kam eindeutig von dem niedergebrannten Feuer. Smod schnaubte widerstrebend und zerrte an seinem Geschirr. Was dort verbrannt worden war, konnten sie von ihrem Standpunkt aus nicht erkennen. Finn sprang vom Wagen, streichelte das Pony und redete auf es ein, bis es sich beruhigte. Mellow hielt seinen Stab fest gepackt.
»Etwas stinkt hier ganz gewaltig«, sagte er. »Und ich meine nicht diesen schwelenden Aschehaufen.«
Er sprang ebenfalls vom Wagen und drehte sich einmal um sich selbst. »Wo ist Herr Banavred? Und was hat er getan?«
Finn deutete zu dem Haus unmittelbar am Turm. »Dort wohnen sie – oder wohnten, falls sie nicht in den Turm gezogen sind. Lass sie uns am besten rufen.« Er legte beide Hände als Trichter an den Mund und holte tief Atem.
»Nein!«, sagte Mellow schnell. »Ich glaube nicht, dass Rufen wirklich das Beste ist. Hier stimmt etwas nicht, Finn. Lass uns einfach hinübergehen.«
»Und vorsichtig sein«, pflichtete Finn ihm schuldbewusst bei. »Du und dein Vater – ihr habt beide nur allzu Recht. Ich wünschte, es wäre anders.«
Sie zogen den widerstrebenden Smod am Geschirr an den Bäumen entlang und an der Feuerstelle vorbei und ließen ihn vor dem Wohnhaus der Borkers halten.
Finn klopfte, es blieb alles still. Da sah Mellow, dass die Tür nur angelehnt war. Er schob sie einen Spalt weit auf und fragte: »Herr Banavred? Frau Anselma? Seid ihr
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