Der verletzte Mensch (German Edition)
wird immer auch ein verletzbares Herz sein. Und nur ein verletzbares Herz kann ein liebendes Herz sein. Die Lehren des Glücksforschers Mihaly Csikszentmihalyi zeigen uns, wie wir die Glücksfähigkeit in uns selbst und bei unseren Kindern steigern können. Bill Strickland beweist uns mit seinen Schulen in den gefährlichsten Ghettos, wie man die Welt mit konkreten Projekten auch unter schwierigsten Umständen verändern kann. Die „Schule des Herzens“ soll jeden von uns dazu verführen, ein etwas besserer Mensch zu werden.
Die Landkarte unserer verborgenen Verletzungen
Wie viel ein einziges Wort zerstören kann
Kinderseelen zerbrechen leicht. Der Auslöser für dieses Buch war der Anruf eines Hörers nach einer Radiosendung, an der ich als Studiogast teilnahm. Der Mann am Telefon erzählte mir zunächst über die Schulprobleme seines Sohnes, um dann auf einmal in eine Geschichte aus seiner eigenen Volksschulzeit zu kippen. Alle Kinder seiner Klasse bastelten Geschenke für ihre Mütter. Mit viel Liebe klebte er blaue Sonnenblumen auf seine Zeichnung. Als die Volksschullehrerin sein Geschenk sah, nahm sie es ihm weg und zerriss es mit den Worten: „Blaue Sonnenblumen gibt es doch nicht, du Dummkopf.“ Der Mann am Telefon brach an dieser Stelle seiner Erzählung in Tränen aus. „Es schmerzt mich heute noch nach über 40 Jahren, wenn ich daran denke.“ Immer tiefer verlor er sich in die Details seiner Schilderung. Zum Abschluss konnte er sich wieder beruhigen und sagte mir, dass er beruflich sehr erfolgreich sei. Der Mann bedankte sich tief berührt für das Gespräch mit mir und hängte auf.
Wenn wir uns als Kinder das Bein verletzen, dann gibt uns die Mutter ein Pflaster. Bei einer schwereren Wunde müssen wir ins Spital und ein Arzt versorgt die Wunde. In beiden Fällen wird diese zuerst gereinigt, was manchmal schmerzhaft sein kann. Indianer kennen keinen Schmerz. Schnell verheilen diese offenen Wunden. Für Verletzungen unserer Seele haben wir nach wie vor keine wirkungsvollen Behandlungen. Oft merken wir überhaupt nicht, wie verletzt wir sind.
Der wertvollste Rohstoff im Kosmos
Das kleine hilflose Kind ist der wertvollste und zugleich der zerbrechlichste Rohstoff im gesamten Kosmos. Kinder wachsen nicht auf, sie werden erzogen. In der Phase der Verformung durch die Erziehung und die Schule kann viel kaputtgehen. Oft sind es die scheinbar kleinen Dinge, die sich nie wieder aus unserer Erinnerung löschen lassen. Sie bestimmen dann das dunkle Drittel unseres Lebens, wenn wir nachts im Bett liegen, wenn wir schlafen und vor allem, wenn wir träumen. Viele Menschen fürchten sich vor der Nacht.
Die meisten Kinder haben Eltern, die sie lieben und das Beste für sie wollen. Die überwiegende Mehrheit wird in ihrer Kindheit nicht geschlagen, nicht in den Kohlenkeller gesperrt oder gar sexuell missbraucht – Gott sei Dank. Die frühen Verletzungen entstehen durch einen Mangel an Behutsamkeit und Achtsamkeit.
Ein Mädchen steht auf der Bühne, ganz still und stumm
Katharina F. besuchte einen sogenannten französischen Kindergarten, weil dort morgens von 9 bis 10 Uhr eine Stunde Französisch unterrichtet wurde. Ihr Vater brachte sie aber immer erst um 11 Uhr in den Kindergarten, daher konnte sie an keiner einzigen Stunde Französischunterricht teilnehmen. Regelmäßig gab es Aufführungen für die Eltern, bei denen die Kinder französische Lieder sangen. „Alle Kinder bis auf mich konnten das, weil sie es wochenlang einstudiert hatten. Mich stellte man auch immer auf die Bühne, weil ich klein und süß zum Anschauen war, sogar in die erste Reihe. Ich war in ein wunderschönes blaues Kleidchen aus Cord gekleidet und wollte unbedingt, wie alle anderen Kinder, meinen Eltern gefallen. Ich konnte natürlich kein Wort und musste diese völlige öffentliche Erniedrigung ertragen – das Gefühl, unbedingt zu wollen, aber nicht zu können. Ich habe versucht, einfach eine endlose Stunde lang nicht aufzufallen, nicht zu weinen und die Bloßstellung zu ertragen“, erinnert sich Katharina F. noch heute mehr als 30 Jahre danach.
Ein Kinder-Albtraum auf der Alm
Andreas D. wurde von seinen Eltern, die beide berufstätig waren, im Sommer das erste Mal in seinem Leben für einen Monat auf ein Kinderlager geschickt. Für das sensible achtjährige Einzelkind entpuppte sich das Sommerlager schnell als Albtraum. Den Wechsel vom kleinen, aber vertrauten Einzelzimmer ins Massenquartier mit Stockbetten, Bubenritualen und
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