Der verlorene Freund: Roman (German Edition)
Zwölf Gasballons à dreizehn Kilo hängen am Sitz, darüber die Limonade, die Nudeln und Matepakete, alles in Wachstuchbeuteln und mit Gummiriemen festgebunden. Von weitem sehen sie aus wie riesige Insekten, die kaum ein eigener Wille zu lenken scheint. Haben Sie schon einmal eine Ameise ein Blatt auf dem Kopf transportieren sehen? Sie dürfen nicht anhalten, sonst würden sie umkippen und kämen von allein nicht mehr weiter, erst beim Krämerladen, der das Gas über die Küchen der Stadt verteilt, laden sie ab. Ob es regnet oder stürmt, sie sind auf Achse. Ob es Winter ist oder die Sonne den Asphalt spaltet, sie essen das harte Brot des Schmuggels. Ihr Leben hängt am kleinen Vorteil der Grenze. Können Sie sich das vorstellen? Nun gut, Vaquero – den Namen vergisst man nicht so leicht – beging den Fehler, seinen Schwager bei einem Familientreffen zu beleidigen, und der deckte seine Bigamie auf, weshalb Vaquero kein Bett mehr zum Schlafen hatte, und so hielt er eines Tages jeden Motorradfahrer an, zwang ihn, die Ladung auszupacken, und zerriss ihm die Beutel. Vor allem dem Schwager. Fünf Tage lang ließen der Schwager und seine Kollegen keinen Geldschein mehr für Vaquero fallen, und Vaquero hielt sie erneut an, zerriss wieder die Beutel. Der eine lebte vom Schmuggel, der andere davon, sich nach dem Geld zu bücken. Was sollte das für ein Krieg werden? An einer Ecke von Aceguá brachten sie sich um, denn ein Krieg war unmöglich.«
»Gelogen …«, sagte Santana, gelangweilt von der Geschichte, und füllte die Gläser nach.
»Und, was meinen Sie?«, fragte mich der Richter.
»Wissen Sie, auf der Landstraße habe ich einmal in einer Raststätte, lang ist das her, eine Frau kennengelernt, die vor den Augen ihres Mannes Babysachen strickte, aber schwanger war die Schwester. Mir schien, die beiden führten seit der Kindheit einen Krieg und würden ihn in dem Kind weiterspinnen, das sie erwarteten, ich sah es fast vor mir, wie es in den Armen der einen und der anderen aufwuchs, denn ich habe nie erfahren, was sie mit dem Mann gemacht haben, und Frauen sind Meister im Weiterspinnen.«
»Meine Mutter hat meinem Vater Liebe und Krieg gegeben«, sagte Beppo, »und in beidem war sie eine Meisterin.«
»Deine Mutter war eine großartige Frau«, sagte Santana.
»Eben. Wäre sie nicht gewesen, sie hätten es nie so weit gebracht.«
»Sie war auch Meisterin im Mundhalten«, setzte der Kommissar nach.
»Glaub das nicht, einmal hat sie wie ein Wasserfall von einem entsetzlichen Verbrechen erzählt, nur um meinen Vater abzulenken, der gerade sein Bein verloren hatte.«
Beppo warf die Serviette auf die Tischdecke. Der Kommissar schien etwas entgegnen zu wollen, doch da kam aus dem hinteren Teil des Schuppens ein alter Mann in flatternden Hosen, kurzärmeligem Hemd und neuen Leinenschuhen. Er ging zu dem Dickwanst und bestellte einen Grappa. Seine kleinen Augen glänzten kindlich, und die dünne Frau machte eine belustigte Bemerkung. Er trug eine Baskenmütze und hatte eine Tätowierung an der Hand, in der er ein Päckchen Tabak hielt. Als ich mich wieder zum Tisch umdrehte, begriff ich wegen der kurzen Ablenkung nicht, warum der Kommissar mit geröteten Augen und leicht zitterndem Kinn den Lastwagenfahrer fixierte, der am anderen Tisch trank. Als sollte der das Glas hinstellen und nach Hause fahren. Doch nichts davon ergab einen Sinn. Santana suchte seinen Blick, aber der Mann blieb in Gedanken verloren, krallte sich an dem Glas fest, und über alles breitete das Radio eine billige, aufdringliche Melodie. All der Alkohol hatte sich im Blut vermischt, die spärlichen bunten Lampen streckten ihre Krallen in die Winkel des Schuppens, und niemand überwand sich, etwas zu sagen.
Ich wollte gerade wieder das Gespräch aufnehmen, als hinter den Stellwänden ein Mädchen mit langem schwarzem Haar hervorkam, ihr blaues Unterkleid entblößte ihre Arme und Waden. Sie blickte zum Dickwanst, dann zu unserem Tisch und senkte die Augen. Ihre Füße schienen sich zu bewegen, als spulte sie eine Nummer ab, eine Nummer, die für einen bestimmten Zweck gedacht war und die sie lustlos, matt und halbherzig wiederholte; der Mann am anderen Tisch ging zu ihr, sie wandten sich um und verschwanden im Halbdunkel. Da leerte Santana sein Weinglas, stand auf und trat ins Freie, unter den Blicken des Dickwansts, der Dünnen und des Alten, der sich mit ihnen an der Theke unterhielt. Beppo strich über das Tischtuch, die Augen auf seine Hände
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