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Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos María Domínguez
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sich ein paar Kerle mit Bier in der Hand, aufgeputzte Mädchen überquerten die Allee Richtung Gesellschaftsclub, und die Laterne an der Ecke stanzte einen Lichtkegel voll Insekten in die Nacht.
    Kaum spürte ich das Pflaster unter den Füßen, ging ich, ohne weiter nachdenken zu wollen, die zweiEcken hinunter zu dem Feld, auf dem sich das Riesenrad erhob. Im Dunkel unter den Bäumen saßen die Einheimischen mit ihren Fernsehern und Radios, die Haustüren geöffnet, und warteten darauf, dass es drinnen kühler würde. Die Luft war so aufgeheizt, hing so reglos zwischen der dampfenden Erde und dem Sternenlicht, dass das Himmelszelt ein riesiger Amethyst zu sein schien. Nur die jungen Leute und die Hunde zogen mit einem letzten Rest von Schwung umher. Vielleicht gab es über der Nacht noch eine Nacht und noch eine, und was da über uns so gewaltig wirkte, war im Grunde nur unsere Ahnungslosigkeit. Ich erinnere mich oder glaube mich zu erinnern, dass ich mir wie in einem Stein gefangen vorkam und das Rad, als ich zum leeren Grundstück gelangte, noch größer und verbeulter aussah, die Gondeln im Dunkeln versunken. Ein Lämpchen warf seinen Schein auf die angelehnte Schuppentür, ein Hund kam und bellte mich an, dann sah ein Kind hervor, und eine Frau fragte, was ich wolle.
    Nelson ließ so lange auf sich warten, dass ich mir das Motorrad ansehen konnte, gegen einen alten Herd gelehnt, den Fernseher, die Betten und den Vorhang, der in ein Nebenzimmer führte. Der Boden war aus Lehm, an den Wänden hingen Töpfe, Werkzeuge und viel rostiges Gerät, das kaum zu unterscheiden war. Zehn Kreuze wie das von Hansen hätten hier hängen können, niemand hätte sie in dem Gewirr von Hufeisen, Rädern, Achsen undZangen entdeckt. Hinten hüpften Kinder auf einem Bett, und zwei Frauen waren vor einem Eisenherd beschäftigt, der mit Holz beheizt wurde.
    Ich hatte einen Jungen erwartet, aber heraus kam ein dürrer Mann in Unterhemd und Jeans, mit einer Zigarette zwischen den Lippen und einem weißen Auge. Seine Hände waren voll Schmieröl, eine Haarsträhne fiel ihm schlaff in die Stirn, und nach einem kurzen Aufwerfen des Kopfes starrte er mich schweigend an. Das kranke Auge sah wie ein Knorpel aus, und vielleicht weil es nicht blinzelte und keine Braue hatte, konnte man kaum hinblicken. Ich überbrachte die Botschaft und wandte mich zum Gehen, doch da fragte er, ob ich ein Freund von Jonathan sei, und kratzte eine Dreckkruste von der Hand. Aus einem Winkel des gesunden Auges musterte er mich, aus dem anderen spähte er auf etwas hinter mir. Ich verneinte, und Nelson murmelte ein paar Worte in sich hinein, die ich nicht verstand, die jedoch Speichel auf seine Lippen trieben. Ihm fehlten mehrere Zähne, und während er anstelle der Braue die Haut über dem harten, geschwollenen Auge anhob, schien er zu lächeln.
    »Der kleine Satan braucht Nelson«, sagte er. »Gott liebt die Gerechtigkeit.«
    Er ging in die Hocke, den Kopf des Hundes zwischen den Knien. Dann zog er an der Zigarette und hielt sie dem Tier ans Ohr, das zurückwich, aufjaulte und in der Nacht verschwand.
    »Er braucht Ihre Hilfe«, sagte ich.
    »Aber klar doch«, entgegnete er, ohne mich anzusehen. Mir schien, als suchte er den Hund, dann blickte er auf das Riesenradgerippe in der Dunkelheit.
    »Wem würde Nelson nicht helfen?«
    Ich ging fort, wollte nicht weiter nachdenken über Jonathans Schicksal mit einem Kerl wie diesem. Mit so einem Typ hätte ich nicht einmal ein Bier getrunken, aber womöglich war der Junge verzweifelt genug, dass er Leute um Hilfe bat, die er nicht auf der Liste gehabt hatte, wie Nelson und mich. Mit dieser Sorge kehrte ich rasch zum Club zurück, so wenig ich auch wusste, was ich Santana und Beppo sagen sollte. Ich betrat ihn wieder durch den hinteren Gang, atmete tief durch, stellte im Lokal jedoch fest, dass andere Männer unseren Tisch besetzten. Der Krach hatte zugenommen, ebenso das Chaos; ich ging den Bingosaal ab, Reihe für Reihe, ohne auf ein bekanntes Gesicht zu stoßen, sah bei den Pooltischen nach und stand schließlich erneut auf der Straße, mit dem Gefühl, sie enttäuscht zu haben. Ich wandte mich kurz Richtung Polizeirevier, machte jedoch kehrt und überließ mich hügelabwärts dem Weg zum Hotel, neben mir die Motorräder mit abgesägtem Auspuff, die sich durch die Straßen bohrten. Als ich die Allee erreichte, wo das Licht weißer und heller wurde, sah ich an mehreren Ecken und vor dem Gesellschaftsclub Scharen junger

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