Der verlorene Ursprung
Verfahren. Trotzdem ist es erstaunlich, wie gut dieser Leichnam erhalten ist. Ich habe keine Ahnung, wie die Yatiri es geschafft haben, dieser Mumie eine Haltbarkeit von acht- oder gar zehntausend Jahren zu verleihen. Ich finde das absolut erstaunlich. Ja, wirklich, absolut einmalig.«
»Einmalig oder nicht«, erwiderte ich und ging wieder zu ihr hinüber, »die ganze Halle riecht nach Benzin, obwohl die fünf Leichen in schweren Goldsarkophagen liegen.«
Sie schwieg einige Augenblicke, dann kniff sie erneut mit Daumen und Zeigefinger die Unterlippe zusammen. Es war eine typische Geste und erinnerte mich stark an meine Mutter und deren Lieblingspantomime mit dem Titel Intensives Nachdenken. »Also«, sagte die Doctora schließlich gelassen, »wenn wir die Yatiri treffen, fragen wir sie, in Ordnung?«
Jabba lachte laut los. »Sehr gut, Doctora, sehr gut!« rief er. Er schüttelte sich regelrecht vor Lachen, das in der großen Kammer widerhallte. Dabei bemerkte er nicht, daß Lola, Marta Torrent und ich ihn mit ernster Miene ansahen.
»Was ist los, Leute, was ist los?« fragte er auf einmal erstaunt und rieb sich die Tränen aus den Augen. »Fandet ihr das nicht witzig?«
Und da fiel der Groschen. »O nein! Davon will ich nichts wissen! Ich denke gar nicht daran, bei so einer Wahnsinnsaktion mitzumachen! Wo wir noch nicht mal wissen, wie wir hier rauskommen sollen! Seid ihr eigentlich von allen guten Geistern verlassen?«
Wir starrten ihn wortlos an. Man hätte uns für drei gemeingefährliche Irre halten können, die ihr Opfer mit kalten Blicken einschüchtern, bevor sie mit mörderischen Absichten langsam auf ihn zugehen. Doch zum Glück war kein Zeuge anwesend, außer natürlich Jabba selbst, und den konnte man leicht mit einem ordentlichen, in Gehalt ausgedrückten Schmiergeld zum Schweigen bringen.
»In einem hat er ja recht«, sagte Proxi, ohne sich zu rühren. »Erst müssen wir hier rausfinden.«
»Okay«, war mein intelligenter Beitrag.
»Na gut, dann marschiert mal los«, spottete Marc und setzte sich auf das Steinpodest, auf dem der Sarkophag stand. »Es ist spät, und ich habe Hunger. Außerdem bin ich müde und könnte dringend ’ne Dusche vertragen. Oh, ... es ist ja schon halb zwölf! Na, dann bleiben wir doch lieber hier, was meint ihr? Wir könnten hier schlafen, und morgen sehen wir dann weiter.«
»Sei still, Marc«, warnte ihn Proxi und setzte sich neben ihn.
»Hattest du nicht beim zweiten Kondor gesagt, der eingefleischte Informatiker in dir sei geweckt worden? Warum schaltest du nicht dein wunderbares Hirn ein und analysierst die Lage? Tu so, als müßtest du einen schwierigen Code knacken.«
Ich setzte mich vor den beiden auf den Boden und warf meine Tasche achtlos neben mich. »Setzen Sie sich zu uns, Señora Torrent«, lud ich die Doctora ein. »Vielleicht fällt uns gemeinsam etwas ein.«
»Nun, erst mal könnten Sie mich einfach nur Marta nennen«, antwortete sie und hockte sich im Schneidersitz neben mich. An diesem verfluchten Ort war es ganz schön kalt.
»Gut, aber eigentlich gefällt es mir, wenn Sie mich Señor Queralt nennen. Das sagt nämlich sonst keiner.«
Jabba und Proxi lachten.
»Weil du nicht wie ein Señor aussiehst, liebes Arnauchen«, scherzte Proxi. »Mit deiner Mähne, dem Ohrring und diesem Ziegenbärtchen erinnerst du mich eher an einen romantischen Dichter oder Maler aus dem neunzehnten Jahrhundert als an einen Geschäftsmann.«
So scherzten wir noch eine Weile. Wir mußten uns einfach mal wieder abreagieren. Die Erschöpfung war groß, und es tat gut, für einen Moment die Wirklichkeit um uns herum, die Sarkophage inbegriffen, zu vergessen. Dann schwiegen wir.
»Wir haben noch keinen Rundgang durch die ganze Kammer gemacht«, bemerkte ich nach einer Weile.
»Stimmt«, sagte Jabba. »Vielleicht vertrödeln wir hier gerade kostbare Zeit, während irgendwo eine Tür einladend offensteht.«
»Hör auf zu träumen«, meinte Lola und strich ihm mit der Hand eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht.
»Na gut, jedenfalls so etwas Ähnliches. Ein Loch in der Decke oder so was. Ich finde, wir sollten uns aufteilen. Wir sind vier Leute, oder? Also eine Wand des Raumes für jeden. Und wenn wir nichts entdecken .«
»Die Idee gefällt mir nicht«, unterbrach ich ihn. »Denn wer die Wand mit dem Eingang abkriegt, muß erst den ganzen Gang zurück oder an einer der Seiten außen herum. Das kostet zu viel Zeit. Ich schlage vor, wir bilden zwei Mannschaften.
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