Der verlorne Sohn
stand Vater Weber und sah sich nach seiner Tochter um. Er hatte freilich nur die Waggons vierter und höchstens dritter Classe im Auge. Da hörte er sich rufen, und als er nach der Stelle hinblickte, stand ein junger, vornehmer Herr an der Coupéthür und winkte ihm. Er ging hin und fragte: »Was befehlen Sie, gnädiger Herr?«
»Wen suchen Sie?«
»Meine Tochter.«
»Kennen Sie mich?«
Jetzt sah er ihn schärfer an, dann riß er die Mütze herunter und sagte:
»Herr Doctor Zander! Ist’s möglich! Wie freue ich mich! Ach, wenn doch nur meine Tochter auch gekommen wäre!«
»Die konnte nicht kommen; dafür aber habe ich Ihnen meine Verlobte mitgebracht.«
»Ihre Verlobte?«
Dabei machte er ein Gesicht, in welchem tausend Verwunderungen zu lesen waren.
»Ja,« sagte Zander. »Da, sehen Sie herein!«
Er trat zur Seite, und da erglühte dem Vater das glück-und wonnestrahlende Gesicht seines Kindes entgegen.
»Magda! Du! Erster Classe!«
»O, Alfred ist das so gewohnt. Er fährt nicht anderer Classe.«
Jetzt kam der Name so geläufig heraus, als hätte sie es seit Jahrzehnten nicht anders gewußt.
»Alfred? Wer ist das?«
»Nun, hier Alfred, mein Gelieb – mein Verlobter.«
»Ach so! Kinder, mir wird ganz dumm zu Muthe. Mir brummt der Kopf. Magda – erster Classe – Alfred – Verlobter –«
»Bitte, heraus, meine Herrschaften!« rief der Schaffner.
Die Thüren flogen zu, ein schrilles Pfeifen, ein dröhnendes Rasseln – der Zug eilte weiter. Aber der gute Papa Weber stand noch immer da und staunte die Beiden an.
»Sie machen doch blos Spaß. Herr Doctor?« fragte er.
»Da sei Gott für! Es ist mein heiligster Ernst.«
»Auf Ehre?«
»Auf Ehre!« wiederholte Zander lächelnd.
»Dann glaube ich es; dann ist es wahr. Herrgott von Mannheim! Meine Magda eine Frau Doctorin! Na, Kinder, kommt mit nach Hause! Ich wollte gerade Kartoffelbrei kochen, mit Rindstalggriefen dran, da aber die Sachen so glanzvoll stehen, so kommen eben Speckgriefen dran. Ich kann auch nobel sein, wenn es nöthig ist!«
Und als nun Zander der Geliebten seinen Arm bot, da häkelte sie ein und ging so sicher und stolz an seiner Seite, als ob sie schon zehn Jahre lang in dieser Weise mit ihrem Doctor gegangen sei. –Gegen Abend fuhr der Freiherr von Randau mit Frau und Sohn nach Schloß Langenstadt. Die Beisetzung der beiden Todten sollte nach Einbruch der Dunkelheit stattfinden. Als sie im Schloßhofe, von einem Diener empfangen, ausstiegen, eilte der Hausverwalter herbei und sagte in entschuldigendem Tone: »Verzeihung, meine Herrschaften, daß der Herr Anstaltsdirector, Hauptmann von Scharfenberg, noch nicht zu sprechen ist. Er wird vom Notar festgehalten und läßt bitten, sich nach den gewohnten Zimmern zu verfügen!«
Die Familie Randau wurde hier stets nachbarlich behandelt. Jedes Glied derselben hatte für den eventuellen Aufenthalt hier sein bestimmtes Zimmer. Der Freiherr gab also seiner Frau den Arm und sagte: »Du kommst vielleicht mit zu mir. Edmund mag über sich nach eigenem Gefallen verfügen.«
Der Lieutenant schritt also an der Hauptfront entlang, bog um die Ecke und trat dort in ein Vestibul, von welchem aus eine Steintreppe nach oben führte. Dort lag das Zimmer nebst Cabinet, welches ihm für gewöhnlich angewiesen war.
Der Schlüssel steckte bereits. Er trat ein. Es war ihm, als ob ihm ein feiner, äußerst lieblicher Duft entgegenströme. Er blickte sich um.
»Ganz wie Treibhausblumen, ah! Aber wo? Vielleicht draußen im Cabinet!«
Er sog den Duft ein. Es war wie Veilchen und Reseda. Er öffnete die Thür zum Cabinet und trat da hinaus, die Thür hinter sich schließend. Da erblickte er zu seinem Erstaunen mehrere Damengarderobestücke auf dem Bette liegen und – ein Knack, die Vorhangstange fiel herab, und vor ihm, fest an die Wand gedrückt, stand Fräulein Petermann.
Sie hatte seine Schritte gehört und sich hinter die Gardine gesteckt, denn sie hatte im Begriffe gestanden, ihre Toilette zu wechseln. Sie befand sich im bloßen Mieder und streckte ihm abwehrend die Hände entgegen, konnte aber vor Schreck und Scham kein Wort hervorbringen.
Auch Edmund war für den Augenblick bewegungslos. Er dachte gar nicht daran, daß es seine Pflicht sei, sich schleunigst zu entfernen. Er sah das schöne Mädchen vor sich, mit lang herabwallender Robe; die herrliche Büste hob sich wie Alabaster aus dem dunklen Leibchen, und die vollen, prächtigen Arme schienen ihn anzulocken, anstatt ihn
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