Der verlorne Sohn
oder vielmehr zu meinem Schreck den ›Hauptmann‹ zu erkennen glaubte.«
»Sie irren sich jedenfalls.«
»Das scheint so, wie ich höre.«
»Es gab also eine Ähnlichkeit?«
»Eine bedeutende sogar.«
»Zufall! Stimmte auch das Alter?«
»Ja.«
»Wie war er gekleidet?«
»Sehr anständig. Doch trug er einen Tornister auf dem Rücken.«
»Das ist nichts Auffälliges. Er reist als Tourist. Haben Sie sich etwas merken lassen?«
»Ich war freilich sehr überrascht.«
»Und er?«
»Auf ihn machte mein Anblick allerdings nicht den mindesten Eindruck. Das fiel mir freilich auf. Der Baron Franz von Helfenstein kennt mich und weiß auch, daß ich ihn kenne. Er wäre jedenfalls erschrocken, mich zu sehen.«
»Da haben Sie es! Was thaten Sie?«
»Ich nahm eine Veranlassung wahr, mich zu entfernen, und ging zum Bürgermeister, als dem Oberhaupte der hiesigen Polizei. Auch er sagte mir, daß der Hauptmann heute gefangen worden sei. Alle Polizeiorgane des Landes sind sofort auf telegraphischem Wege davon benachrichtigt worden.«
»Sie haben sich also geirrt.«
»Aber diese große Ähnlichkeit!«
»Sie kann keine Veranlassung sein, diesen Mann zu belästigen.«
»Ich erfuhr beim Bürgermeister, daß Durchlaucht hier anwesend seien. Darum kam ich sogleich hierher, um Ihnen die betreffende Mittheilung zu machen und um Verhaltungsmaßregeln zu bitten.«
»Hatte der Bürgermeister die Absicht, einzuschreiten?«
»Nein.«
»So habe ich sie auch nicht.«
»Aber es handelt sich um den Hauptmann, Durchlaucht. Man kann nicht vorsichtig genug sein.«
»Sie haben da freilich recht. Wie sprach der Fremde?«
»Er gab das Deutsche mit amerikanischem Accent.«
»Hm. Diesen Accent kann man auch nachmachen. Wie lange bleiben Sie hier?«
»Bis zum letzten Zuge, mit welchem ich zurückfahre.«
»Auch ich benutze diesen Zug. Wir haben noch über zwei Stunden bis dahin. Ich werde ganz sicher gehen und direct beim Minister telegraphisch anfragen. Sie kehren wohl zu dem Vater Ihres Bräutchens zurück?«
»Ja.«
»Das ist schon aus dem Grunde nöthig, um bei dem Fremden keinen Verdacht zu erwecken. Wollen Sie mir unterwegs die Depesche besorgen?«
»Gern.«
»Es soll auf die Antwort, welche ich erhalte, ankommen, ob ich mich mit dem Amerikaner beschäftige. Ich werde das Telegramm sogleich notiren.«
Er riß ein Blatt aus dem Notizbuche und schrieb die wenigen Worte, welche nöthig waren und mit denen sich der Arzt dann entfernte. Während dieses kleine Intermezzo besprochen wurde, hatte Valeska sich an das Fenster zurückgezogen. Der Lieutenant trat zu ihr, drückte ihr innig die Hand und flüsterte ihr zu: »Wer hätte das gedacht! Du jetzt eine Baronesse!«
»Ich kann es noch nicht fassen!«
»Jetzt wirst Du wohl stolz werden!«
»O nein!«
»Und gar nicht mehr an diesen Lieutenant von Randau denken.«
»Edmund!«
»Na, zürne nicht! Ich habe eine Freude, die gar nicht zu beschreiben ist. Und weiß Du, worüber?«
»Nun?«
»Darüber, daß meine Eltern ihre Einwilligung gegeben haben, bevor sie wußten, was der Director Dir zugedacht hatte.«
»Ja, das ist es. Darüber, gerade darüber bin ich so glücklich, daß ich alle Welt umarmen möchte.«
Als man später bei der Tafel saß, kam die telegraphische Antwort aus der Residenz. Sie lautete:
»Hauptmann in Langenstadt ist großer Irrthum. Baron ganz sicher in unseren Händen.«
Aus diesem Grunde fiel es dem Fürsten gar nicht ein, sich mit dem angeblichen Amerikaner zu beschäftigen.
Dieser hinwieder hatte sich in einer nicht sehr angenehmen Situation befunden, war aber doch so kühn gewesen, das Resultat ruhig abzuwarten.
Er hatte den weiten Weg nicht ganz zu Fuß zurückgelegt, sondern streckenweise sich bietende Fahrgelegenheiten benutzt. Einige Male in Gasthöfen einkehrend, hatte er gehört, daß der Hauptmann gefangen worden sei. Das hatte ihm eine Sicherheit gegeben, welche er im anderen Falle nicht besessen hätte. –So war es Nacht geworden, als er Langenstadt erreichte. Auf seine Frage wurde ihm die Wohnung des Holzschnitzers Weber beschrieben. Er fand sie sehr leicht und wollte eben die Hausthür öffnen, als eine Frau heraustrat. Er grüßte und fragte: »Wohnt hier der Holzschnitzer Weber?«
»Jawohl.«
»Ist er zu Hause?«
»Ja. Wollen Sie zu ihm?«
»Gewiß.«
»Ich bin seine Frau.«
»Seine Frau, also meine Tante!«
»Tante! Herrgott! So bist Du der Neffe?«
»Ja, freilich. Ich komme so spät, weil ich die letzte Strecke
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