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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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glaube das. Also bis wohin kam er Dir nach?«
    »Bis in unser Haus.«
    »Weiter nicht?«
    »O, sogar bis an die Treppe!«
    »Der Hallunke! Hast Du da mit ihm sprechen müssen?«
    »Ja, denn er hielt mich am Arme fest.«
    »Was sagte er?«
    »Er sagte – sagte – – Wilhelm, es wird mir wirklich recht sehr schwer, es Dir genau zu sagen!«
    »Und doch mußt Du grad das so genau wie möglich sagen! Also er kam Dir nach bis an die Treppe, und was sagte er?«
    »Er bat mich um einen Kuß.«
    »Zunächst sagte ich nichts, sondern ich wollte entfliehen.«
    »Ah! Er hielt Dich wohl gar fest?«
    »Ja, allerdings.«
    »Wo? Beim Kopfe?«
    »Nein.«
    »Um die Taille?«
    »Nein; blos am Arme. Ich konnte mich gar nicht losreißen. Er wollte – wollte – er wollte mir einen – – hm!«
    »Marie, mach’s kurz! Spanne mich nicht auf die Folter! Was wollte er?«
    »Er wollte mir einen Dukaten für diesen Kuß geben.«
    »Und Du?«
    »Da gelang es mir, mich loszureißen. Ich eilte in größter Schnelligkeit zur Treppe herauf.«
    »Und er?«
    »Nun, er ist unten geblieben!«
    »Hm, weißt Du, Marie, daß diese immerwährenden Nachstellungen mir eine sehr schwere Sorge bereiten.«
    »Das ist Eifersucht!«
    »Nein, nicht im Geringsten. Wie sollte ich eifersüchtig sein, da ich doch weiß, daß Du mich lieb hast. Aber er ist ein vornehmer Herr!«
    »Was thut das!«
    »Sehr viel, sehr viel! Der Kerl ist in Dich verliebt. Küssest Du ihn nicht freiwillig, so wird er Dich zu zwingen wissen.«
    »Kein Mensch kann mich zwingen, ihn zu küssen, wenn ich es nicht freiwillig thue!«
    »Das denkst Du jetzt; aber gezwungen werden kann man auf verschiedene Arten, und grad diese Herren sind die gefährlichsten. Sie haben weder Gewissen noch Ehre. Sie halten es für einen rühmlichen Sport, brave Mädchen zu verführen. Wer mag er sein?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wir werden es noch erfahren; dann aber ist ihm sein Brod gebacken und wenn er der Minister wäre!«
    Sie lachte fröhlich auf und fragte:
    »Hast Du mich wirklich so lieb, daß Du um meinetwillen sogar mit dem Minister anbinden würdest?«
    »Mit aller Welt!«
    »Da kann ich sehr zufrieden sein! Gute Nacht, lieber Wilhelm!«
    »Gute Nacht, liebe Marie! Na, na! Ohne Kuß?«
    »Geht es denn nicht einmal ohne?«
    »Niemals! Komm! Sei folgsam! Es ist ja Deine Pflicht, Dich bereits jetzt schon an mich zu gewöhnen!«
    »Ah! Warum denn?«
    »Damit ich Dir später nicht gar so unbekannt vorkomme.«
    »Deine Gründe sind gut. Also hier! Gute Nacht!«
    »Gute Nacht!«
    Ein letzter Kuß, und sie flog die Treppe hinauf, um sich droben wieder an ihre Stickerei zu setzen. –
    Als der Fürst von Befour die Familie des früheren Wachtmeisters verlassen und die Straße erreicht hatte, wendete er sich der Gegend zu, in welcher das Palais der Baronesse von Helfenstein lag. Er kam dabei an einen Neubau, dessen Thüröffnung nicht zu gesperrt war. Er blieb stehen und lauschte.
    »Pst!« hörte er es im Innern.
    »Wer?« fragte er halb laut.
    »Der Schlosser.«
    Im Nu stand auch er innerhalb der unvollendeten Thür.
    »Ist die Sitzung geschlossen?« fragte er.
    »Bereits seit längerer Zeit,« lautete die Antwort.
    »Wurde Etwas am gestrigen Plane geändert?«
    »Ja.«
    »Was?«
    »Das kann ich nicht sagen. Sie wissen, der Schwur, welchen ich geleistet habe, gestattet mir nicht, Ihnen Alles mitzutheilen.«
    »Sobald Sie einen solchen Schwur für bindend halten, kann ich Ihnen nicht Unrecht geben, obgleich eine größere Offenheit mir lieber wäre. Worauf bezieht sich diese Änderung?«
    »Es ist eine neue Person eingetreten.«
    »Die beim Ueberfalle der Baronesse mitwirken soll?«
    »Ja, also eine Änderung ohne Bedeutung für Sie.«
    »Gut. Hat der ›Hauptmann‹ die Schlüssel von Ihnen erhalten?«
    »Ja. Die Ihrigen habe ich auch mit. Hier sind sie.«
    Er gab dem Fürsten eine Anzahl von Schlüsseln, welche dieser einsteckte. Es war ganz derselbe Mann, welcher bei der geheimen Versammlung dem ›Hauptmann‹ die Schlüssel übergeben hatte. Er war von dem Fürsten hierher bestellt worden und fragte jetzt: »Was haben Sie beschlossen, Herr? Werden Diejenigen, welche in Ihre Hände fallen, gefangen genommen und abgeliefert?«
    »Ist der ›Hauptmann‹ in eigener Person dabei?«
    »Nein.«
    »Ich vertraue Ihnen und habe Ihnen daher bereits aufrichtig gesagt, daß mir vor allen Dingen daran liegt, zu erfahren, wer dieser Hauptmann ist.«
    »Das weiß nicht einmal Einer von uns.«
    »Ich will das

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