Der verlorne Sohn
und küßte sie und wollte gar nicht aufhören, sie zu küssen, bis sie sich endlich mit Gewalt aus seiner Umarmung wand.
»Du erdrückst mich ja«, lächelte sie.
»Mädchen, Anna, Du hast mir Muth gemacht. Jetzt kann ich auf einmal reden! Jetzt kann ich küssen! Jetzt möchte ich die ganze Welt umarmen! Jetzt könnte ich alle Weiber und Mädels küssen, eine nach der anderen, von der ersten bis zur letzten, eine jede volle drei Viertelstunden lang und auch noch viel länger!«
»O bitte, bitte! Hältst Du das für nothwendig?«
»Nein, nein! Ich meine es nicht so. Ich denke auch, daß es doch eine sehr saure Arbeit wäre. Ich habe Dich und das ist mir genug. Bist Du mir denn wirklich gut gewesen?«
»Stets und von Herzen. Ich habe Deine Liebe gekannt. Ich habe auch gewußt, daß es Dir schwer fällt, davon zu sprechen. Darum bin ich gleich wahr und offen gewesen.«
»Schwer fällt? Da bist Du freilich stark im Irrthum! Wieviele Male hinter einander soll ich es Dir sagen, daß ich Dir gut bin? Fünf-oder zehntausend Male oder meinetwegen Millionen Male?«
»Ja, nun! Nun ist der Knoten gerissen!«
»Na ja, ich will’s gestehen, es war ein schlimmer Knoten. Es hat mir manches Mal auf der Zunge gelegen, groß rund, und schwer, wie ein Hefeklos, und es wollte nicht heraus. Jetzt aber steckt der Ton endlich in der Trompete und nun wird auch fortgeblasen. Komm, Herzensmädchen, ich muß Dir noch einen Kuß geben; weißt Du, so einen, auf den noch dreihundert andere kommen!«
Er war jetzt ein ganz Anderer, er herzte, drückte, streichelte und küßte sie, daß sie kaum zu Athem kommen konnte, und eben standen sie beisammen, Mund an Mund, so ging die Thür auf und die Muhme Kohlenbrennerin trat ein, hinter ihr ihr Alter und dann der Wachtmeister.
Die Erstgenannte erblickte die zärtliche Gruppe natürlich zuerst. Sie machte ein ganz erstauntes Gesicht und sagte: »Herrjemineh, da beißen sich Zwei mit einander!«
»Wo denn?« fragte der Wachtmeister, sich vordrängend.
Die Beiden waren natürlich auseinander gefahren. Anna war glühend roth vor Verlegenheit, doch strahlte ihr Gesicht in glücklicher Freude. Anton kratzte sich hinter dem Ohre. Er wäre am liebsten ausgerissen, da er aber fühlte, daß er doch irgend etwas sagen müsse, so meinte er: »Herr Wachtmeister, ich bin auch da!«
»Ich sehe es, mein Lieber. Willkommen!« antwortete der Angeredete, indem er ihm die Hand entgegenstreckte.
Anton schlug ein und bemerkte dabei:
»Schönes Wetter heute! Denken Sie, daß es sich halten wird?«
»Ich hoffe es!« meinte der Wachtmeister lächelnd und mit einem Seitenblick auf seine Tochter.
»Es könnte aber doch möglich sein, daß es noch regnet. Es gab gerade zu Mittag da drüben gegen Westen zwei oder drei kleine Wölkchen. Das bedeutet allemal veränderliches Wetter.«
»Na, das wollen wir ruhig abwarten. Man muß das Wetter nehmen, wie es kommt. Aber, Kinder, was meinte denn die Muhme da eigentlich mit dem Beißen?«
Anton zerrte am Schnurrbarte und antwortete dann verlegen:
»Herr Wachtmeister, gebissen haben wir uns nicht. Das werden Sie mir doch nicht zutrauen?«
»Was denn?«
»Hm! Wir haben uns einander etwas gesagt.«
»Das klingt schon friedlicher. Darf ich vielleicht wissen, was Ihr Euch gesagt habt?«
»Ja. Aber wäre es nicht besser, wenn Sie warteten, bis ich fort bin? Anna kann es dann erzählen.«
Diese aber fiel schnell ein:
»Nein, nein! Sage Du es nur jetzt!«
»Sapperment! Hm! Ja! Verfluchte Geschichte! Wissen Sie, Herr Wachtmeister, ich werde nämlich nicht mehr lange beim Fürsten von Befour wohnen.«
»So, so!«
»Ja. Ich ziehe aus.«
»Haben Sie gerade dies meiner Tochter gesagt?«
»Das eigentlich nicht, aber ich hätte es sagen können, denn es gehört dazu. Wissen Sie, wo ich hinziehe?«
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
»Sapperlot!« lachte der Wachtmeister, welcher wohl errieth, was geschehen war, und sich an der Verlegenheit Anton’s weidete. »Sie fragen mich, ob ich es weiß, und wissen es selbst nicht!«
»Na, eigentlich wüßte ich es.«
»So! Das widerspricht sich aber!«
»Nein, nicht ganz. Haben Sie nicht Lust, auszuziehen?«
»Ich? Weshalb sollte ich denn ausziehen?«
»Weil dieses Logis zu klein ist.«
»Für uns ist es groß genug.«
»Ja, für Sie, aber für uns nicht.«
»Sie sagen ›uns‹! Sie meinen also Sich mit?«
»Ja, denn einen Schwiegersohn werden Sie doch wohl einmal bekommen, und dann müssen wir zusammenziehen.«
»Hm!
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