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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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konnte.
    Als die Letztere erfuhr, daß Anna sogar zum Conditor gehen wollte, sagte sie:
    »Aber meinetwegen doch nicht! Du wirst doch nicht ein solches Geld ausgeben! Das ist nicht nöthig.«
    »Heute ist es nöthig. Es giebt ein Familienfest.«
    »Familienfest? Es ist doch heute Dein Geburtstag nicht! Den kenne ich ganz genau.«
    »Nein, der ist freilich nicht.«
    »Etwa der Deines Vaters?«
    »Nein. Es handelt sich nicht um einen Geburtstag.«
    »Um was denn? Familienfest, das ist mir ein Räthsel.«
    »Rathe!«
    »Ich errathe es nicht. Ah, Du lachst, Du machst ein so glückliches Gesicht! Handelt es sich etwa um – – Anton?«
    »Ja.«
    »Hat er endlich gesprochen?«
    »Heute, vorhin.«
    »Und da soll wohl gar Verlobung sein?«
    »Ja, er hat es gewünscht.«
    »Anna, das freut mich. Komm her, ich muß Dich küssen, obgleich wir uns auf der Straße befinden, aber es ist ja dunkel; da geht es.«
    Sie umarmte und küßte die Freundin und fuhr dann fort:
    »Jetzt wünsche ich Dir ein ganzes Leben voller Glück und Freude; Du verdienst es!«
    »Du ebenso!«
    »Ich? O, ich glaube nicht, daß ich heirathen werde.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein. Um mich wird sich wohl Niemand bekümmern.«
    »Das denkst Du selber nicht. Du bist ja nicht häßlich, auch nicht alt, was willst Du mehr!«
    »Sprechen wir nicht davon!«
    »O doch, sprechen wir gerade davon! Ich bin heute so glücklich und möchte auch Dich glücklich sehen. Daheim können wir nicht unter vier Augen reden, weil ich Besuch habe; darum gehe ich jetzt mit Dir einen Umweg, um Dich einmal in’s Examen zu nehmen.«
    »Das wird vergeblich sein.«
    »Ich denke nicht. Meinst Du denn, daß ich gar nichts sehe und gar nichts ahne? Denkst Du, weil Du es verschweigst, könne ich es nicht wissen?«
    »Was soll ich verschweigen? Was willst Du wissen?«
    »Daß auch Du Deine Wünsche hast.«
    »O, die hat wohl jedes junge Mädchen!«
    »Ich meine, ganz bestimmte Wünsche.«
    »Davon weiß ich nichts.«
    »Leugne nicht. Deine Wünsche sind denen, die ich hatte, außerordentlich ähnlich: sie beziehen sich auf die Polizei.«
    »Anna!«
    »Habe ich Recht?«
    »Nein.«
    »O doch! Weiß Du, wer heute mit kommen wird?«
    »Nun?«
    »Adolf, der Freund meines Verlobten.«
    Emilie erröthete und hielt unwillkürlich den Schritt an.
    »Da möchte ich lieber nicht mit gehen«, sagte sie.
    »Warum nicht?«
    »Ich, ich – – ach, Anna, ich wollte lieber, er käme nicht!«
    »Du bist eine kleine Thörin. Sei doch einmal aufrichtig, und gestehe mir, daß Du ihm gut bist!«
    »Was nützt es mir? Er verachtet mich doch!«
    »Verachten? Warum?«
    »Wegen damals im Theater. Ich habe es Dir noch nicht gesagt. Als wir noch in der hohen Straße wohnten, wohnte er uns gegenüber. Wir konnten einander gerade in die Fenster sehen, und er stand so oft am Fenster, daß – – –«
    Sie stockte, und Anna ergänzte lachend:
    »Daß auch Du Dich an Euer Fenster stelltest!«
    »Nein, das wollte ich nicht sagen. Aber ich mußte doch annehmen, daß er ein Interesse für mich hatte. Er grüßte später und nickte herüber. Ich grüßte natürlich wieder, da ich nicht unhöflich sein wollte – – –«
    »Und weil Du ihm gut warst!«
    »Auch deshalb. Ich will es gestehen. So ging es mehrere Monate, ohne daß wir ein Wort mit einander gesprochen hätten. Eines Abends aber war ich im Theater gewesen. Am Schlusse desselben sah er mich. Er hatte Dienst im Theater gehabt und war nun frei. Aus Versehen übersah ich auf der Treppe eine Stufe und – – –«
    »Aus Versehen? Kind, Du übersahst eine Stufe, weil Du die Augen nicht auf der Treppe, sondern auf ihm hattest!«
    »Vielleicht, ja. Kurz und gut, ich wäre gestürzt, wann er mich nicht festgehalten hätte.«
    »So nahe war er Dir?«
    »Ja, aber ganz gewiß nur zufällig.«
    »O, das kennt man. Weiter!«
    »Er blieb an meiner Seite, bis ich auf der Straße war, und dort fragte er, ob ich nach Hause gehe. Ich bejahte natürlich, und da er uns gegenüber wohnte, so hatte er denselben Weg. Darum fragte er, ob er mich begleiten dürfe.«
    »Du sagtest natürlich nein!« scherzte Anna.
    »Ich wollte es sagen, brachte es aber doch nicht fertig. Er fragte so bescheiden, und ich wollte ihm nicht wehe thun. Also kam es, daß er mit mir ging.«
    »Ihr gingt natürlich sehr weit aus einander!«
    »Du bist heute glücklich und also zum Scherz aufgelegt. Wir gingen neben einander und unterhielten uns über das gegebene Stück. Er hatte so gute Ansichten; er war so

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