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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ernst, so – so – – ich weiß gar nicht, wie ich sagen soll; kurz und gut, man mußte ihm gut sein und Vertrauen zu ihm haben, und da weiß ich gar nicht, wie es kam, daß er auf einmal meinen Arm in den seinigen genommen hatte.«
    »Aha! Jetzt kommt die Liebeserklärung!«
    »O nein. Wir sprachen von Vielem, aber nur von solchen Dingen nicht, und als wir meine Hausthür erreichten, nahm er Abschied und ging.«
    »War der Abschied nicht etwa zärtlich?«
    »Nein. Was Du denkst! Ich dankte ihm, und da allerdings sagte er – – da sagte er – – –«
    »Na, was denn?«
    »Daß er sehr gern mit mir gegangen sei und daß er sehr gern auch noch weiter gehen möchte, weiter und immer weiter, durch das ganze Leben.«
    »Ah, also doch Liebeserklärung.«
    »O nein! Das war doch wohl nur eine Höflichkeit!«
    »Meinst Du? Ein so ernster und gesetzter Mann, wie Adolf ist, sagt so Etwas nicht als bloße Höflichkeit, darauf kannst Du Dich verlassen. Hat er Dich nicht gefragt, ob er Dich irgendwo und irgendwann wieder treffen dürfte?«
    »Nein, sonst hätte ich doch am Ende gedacht, daß er mir ein bischen gut sei. Er gab mir, als er die erwähnten Worte sagte, die Hand und ging.«
    »Und Ihr habt Euch dann nicht wieder getroffen als nur später bei mir?«
    »Ja.«
    »Das begreife ich nicht.«
    »Aber ich begreife es. Nämlich ich wurde kurze Zeit darauf gezwungen, aufzutreten. Ich habe Dir ja davon erzählt. Besinnst Du Dich?«
    »Ja. Es muß ein schrecklicher Abend gewesen sein.«
    »Entsetzlich! Der Vater hatte nicht gewollt, mußte aber gehorchen, wenn er die Anstellung nicht verlieren wollte. Und auch ich mußte aus demselben Grunde einwilligen. Freilich hatte ich es mir nicht so schlimm vorgestellt, wie es wirklich war. Als ich mich in der Garderobe vollständig entkleiden und dann die durchsichtigen und tief ausgeschnittenen Fetzen anziehen mußte, dachte ich, ich müsse in die Erde sinken. Ich hatte eine stumme Rolle; meine Aufgabe war nur, dem Publikum ein halb-oder vielmehr fast ganz nacktes Frauenzimmer zu zeigen. Ich weinte vor Scham und Aufregung, es half nichts, man hatte kein Mitleid, ich wurde, noch weinend, auf die Bühne gestoßen.«
    »Schrecklich!«
    »Ich wagte natürlich nicht, ein Auge aufzuschlagen.«
    »Das glaube ich. Ich wäre vor Scham vergangen. Da ist Dir Deine Schönheit zum Unsegen geworden.«
    »Schönheit?«
    »Ja, Emilie, schön bist Du, das darf ich als Freundin Dir sagen. Und das kannst Du Dir selbst denken, da man Dich sonst nicht zu einer solchen Rolle bestimmt hätte.«
    »Wäre ich doch lieber recht häßlich gewesen! Als ich in dieser Weise auf der Bühne stand, kam mir plötzlich ein entsetzlicher Gedanke. Ich dachte an ihn. Wie nun, wenn auch er im Theater war und mich so sah!«
    »Das wäre freilich nicht angenehm gewesen!«
    »Nur nicht angenehm? Ah! Ich wagte es, aufzublicken, hinauf nach der Polizeiloge. Und denke Dir, dort saß er und hielt den Blick auf mich, gerade auf mich gerichtet. Ich dachte, der Schlag müsse mich treffen.«
    »Du Arme!«
    »Ich zitterte an allen Gliedern. Es giebt gar kein Wort, zu beschreiben, wie es mir im Innern gewesen ist! Es war mir nachher nur wie im Traume. Ich weiß heute nicht mehr, was ich gethan und gedacht habe; ich weiß nur, daß ich nach Hause gekommen bin und die ganze Nacht hindurch bitterlich geweint habe.«
    »Er kann es Dir nicht nachtragen. Du hast ja gemußt.«
    »Wie konnte er das wissen!«
    »Er brauchte sich nur zu erkundigen.«
    »O, das hat er nicht gethan. Er hat gar nichts mehr von mir wissen wollen. Das weiß ich ganz genau.«
    »Woher denn?«
    »Er hatte täglich zur bestimmten Zeit am Fenster gestanden. Ich kannte die Minute, ja die Secunde ganz genau, wenn er erschien. Am anderen Morgen kam er nicht; ich hoffte und hoffte, aber er war nicht wieder zu sehen. Und als ich mich dann so unter der Hand erkundigte, da hörte ich, daß er am Morgen nach jenem Theaterabende ausgezogen sei.«
    »Jedenfalls nur zufällig.«
    »O nein.«
    »Er ist ledig, er hat eine Garçonlogis gehabt, da pflegt es monatliche oder gar nur vierzehntägige Kündigung zu geben. Er wird aus irgend einem Grunde gekündigt haben, und der Wegzug ist gerade auf diesen Morgen gefallen.«
    »Nein. Ich habe mich erkundigt! Die Wittfrau, bei der er wohnte, hat selbst erzählt, daß er ohne vorherige Kündigung ausgezogen ist. Er hat gesagt, daß er fortgehe, er hat den vollen Monat bezahlt und ist wirklich gegangen. Einen Grund hat er gar nicht

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