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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sein.«
    »Was?«
    »Ich selbst.«
    »Sie anders sein? Warum denn wohl?«
    »Sehen Sie mich doch an! Mein Gesicht!«
    Es war ein aufrichtiges Erstaunen, mit welchem sie ihn anblickte. Sie sagte kopfschüttelnd:
    »Ihr Gesicht? Was ist mit demselben?«
    »Es ist so häßlich.«
    Da lachte sie lustig auf und fragte:
    »Sind Sie eitel?«
    »Ganz und gar nicht. Auf was oder weswegen sollte ich auch wohl eitel sein! Es ist doch ganz naturgemäß und ganz menschlich, wenn man nicht gern häßlich sein will.«
    »Und Sie meinen wirklich, häßlich zu sein?«
    »Ja, natürlich.«
    »Sie sind es aber nicht.«
    »Oho! Wollen Sie mich auslachen, Fräulein?«
    »Das fällt mir nicht ein. Ja, ich weiß, daß andere Leute Sie für häßlich halten –«
    »Ah, wissen Sie das? Woher denn wohl?«
    »Sie haben uns wohlgethan, darum beschäftige ich mich mit Ihnen. Wenn von Ihnen gesprochen wurde, merkte ich auf. So weiß ich Manches, was – was – was ich doch nicht sagen kann.«
    »So, so! Auch mir können Sie es nicht sagen?«
    »Nein.«
    »Wenn ich es nun aber wünsche?«
    Sie blickte ihm nachdenklich in das Gesicht. Ihr Blick nahm einen eigenthümlichen, undefinirbaren, übermächtigen Ausdruck an. Dann antwortete sie wie unter einem schnellen Entschlusse: »Dann würde ich es Ihnen freilich sagen.«
    »So bitte! Was wissen Sie?«
    »Daß man Sie den Kranich nennt,« antwortete sie, ihm vertraulich entgegenlachend.
    »Auch das wissen Sie? Wunderbar! Weiter!«
    »Daß Sie gern spielen.«
    »Ah! Sapperment!«
    »Daß Sie noch lieber wohlthun, meist ohne zu fragen, ob der Empfänger der Gabe werth ist.«
    »Das ist freilich wahr. Weiter!«
    »Daß Sie in neuerer Zeit im Dienste mehrfach Verdruß gehabt haben.«
    »Fräulein, sind Sie allwissend?«
    »Nein. Ich merke mir aber das, was ich höre, wenn es sich nämlich auf Personen bezieht, für welche ich mich interessire.«
    Er blickte rasch auf. War das Berechnung? Nein. Ihr Auge blickte ihm so aufrichtig, so wahr und so ruhig entgegen. Hier gab es weder Koketterie noch Verstellung.
    »So interessiren Sie sich also für mich?« fragte er.
    »Natürlich! Sie sind ja unser Wohlthäter. Und wenn das nicht wäre, müßte ich Ihnen doch meine Aufmerksamkeit schenken, da Sie sich für mich interessiren.«
    Auch jetzt sprach sie voller Unbefangenheit. Er konnte dies gar nicht begreifen; er fragte:
    »Ich mich für Sie? Woher wissen Sie das?«
    »Erstens sagt man es mir und zweitens habe ich es ja täglich selbst gesehen. Sie waren nur meinetwegen zur bestimmten Zeit auf der Schillerstraße?«
    »Ja,« antwortete er aufrichtig.
    »Und folgten mir nur meinetwegen nach dem Hotel?«
    »Nur Ihretwegen.«
    »Warum das?«
    »Weil – weil – Donnerwetter! Wenn ich ein Schuster wäre, so würde ich sagen: Weil ich Sie liebe.«
    »Aber da Sie kein Schuster sind, können Sie das nicht sagen. Die Liebe existirt also nicht und gerade darum darf ich so aufrichtig mit Ihnen sprechen. Die Schusterstochter steht so unter Ihnen, daß einer Liebe, selbst wenn sie existirte, gar nicht Erwähnung zu geschehen brauchte. Darum sagte ich Ihnen auch so ehrlich, daß Sie nicht häßlich sind.«
    »Da spotten Sie natürlich!«
    »Nein, ich sage die Wahrheit.«
    »Das kann ich nicht glauben.«
    »Glauben Sie es nur getrost. Es denkt und fühlt ja nicht der Eine wie der Andere. Ueber den Begriff des Schönen läßt sich streiten. Das Wort schön darf doch nicht blos auf körperliche Vorzüge oder Eigenschaften Anwendung finden.«
    »Das sagen Sie?« fragte er erstaunt. »Um über den Begriff der Schönheit zu discutiren zu können, muß man mehr als Schuhmacherstochter sein.«
    »Ach so! Nun, ich habe hier und da etwas gehört und es mir gemerkt. Das ist Alles. Ich wollte nur sagen, daß ich Sie nicht häßlich finde, weil Sie großmüthig und barmherzig sind. Und sodann ist ja auch die Seelenrichtung des Weibes eine ganz andere, als diejenige des Mannes.«
    »Seelenrichtung?« fragte er erstaunt.
    »Worüber wundern Sie sich?«
    »Ueber Ihre Art, sich auszudrücken.«
    »Es ist meine gewöhnliche.«
    »Wo haben Sie das gelernt?«
    »Von meinem Bruder.«
    »Was ist er?«
    »Musikant,« antwortete sie mit einem kleinen Anfluge von Ironie.
    »Ah! Er muß ein belesener Musikant sein.«
    »Das ist er freilich.«
    »Wo hat er musicirt?«
    »Auf dem Saale des Tivoli, zweite Geige.«
    »So, so. Was meinten Sie vorhin, als Sie von der Verschiedenheit der Seelenrichtung sprachen?«
    »Ich meinte, daß der Mann, wenn er

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