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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Platz, wagte aber nicht, sie anzureden.
    Von hier aus gab es Postverbindung bis Reitzenhain. Er nahm sich Fahrschein und bemerkte zu seiner großen Freude, daß sie das Gleiche that. Man hatte zu warten. Trotzdem gab es keinen zweiten Passagier, und als dann das Zeichen zur Abfahrt gegeben wurde, nahmen sie ganz allein im Wagen Platz.
    Sie hatte den Schleier vor das Gesicht gezogen, und er legte sich möglichst weit in seine Ecke hinein, um ihr ja nicht prätentiös zu erscheinen. Es herrschte tiefe Stille. Sie schien zu schlafen, denn sie bewegte sich nicht. Er sah die kleinen behandschuhten Händchen und dachte im Stillen: »Daß die Tochter eines Flickschusters so zart gebaut sein kann, ist doch sonderbar! Und das Füßchen dort! Himmelsakkerment! Ob sie wohl schläft? Ich werde sie anreden!«
    Er nahm sich fest vor, dies zu thun, aber es wollte ihm nicht so leicht werden. Er sann und sann, was er sagen werde, brachte es aber zu keinem Resultat.
    Sie kamen durch ein Dorf. Der Postillon hielt vor dem Gasthause an und fragte:
    »Wollen die Herrschaften vielleicht einmal aussteigen?«
    »Haben wir denn Zeit?« fragte Hagenau.
    »Zu einem Glase Bier allemal.«
    »Schön! Trinken Sie auch eins!«
    Und jetzt nahm er seinen ganzen Muth zusammen, um Hilda zu fragen:
    »Wünscht Fräulein vielleicht auch etwas?«
    »Ich danke,« antwortete sie.
    Somit waren sie wieder fertig, und als das Bier getrunken war, ging es so schweigsam weiter wie vorher.
    Hagenau kannte die Gegend und den Weg. Bei jedem Dorfe und Orte, durch welches sie kamen, besorgte er, daß die Reisende aussteigen werde. Die Tour war bereits über die Hälfte zurückgelegt, und noch hatte er nicht den Versuch gemacht, sie zu einem Gespräch zu bringen. Eine bessere Gelegenheit als heute konnte es gar nicht geben. Darum nahm er sich endlich vor, anzufangen.
    »Fräulein!« sagte er.
    Sie antwortete nicht.
    »Fräulein!«
    Jetzt drehte sie ihm das Köpfchen zu.
    »Darf ich fragen, wohin Sie fahren?«
    »Nach Reitzenhain,« antwortete sie.
    »Ich auch!«
    Jetzt fiel ihm nichts weiter ein. Er gab sich die größte Mühe, etwas ausfindig zu machen, vergebens. Sollte er etwa vom Wetter anfangen? Damit hätte er sich blamirt. Endlich kam ihm ein Gedanke. Er freute sich darüber, als ob er Amerika entdeckt habe. Einer Anderen gegenüber hätte er diesen Gedanken für ganz selbstverständlich befunden.
    »Bleiben Sie lange dort?« fragte er.
    »Einige Wochen.«
    »Ah, das ist herrlich!«
    Er sagte das mit Begeisterung, zog sich aber sofort in sich selbst zurück, da er befürchtete, bereits zu viel gesagt zu haben. Erst als er bemerkte, daß in zehn Minuten das Ziel erreicht sein werde, nahm er sich zu einer weiteren Frage zusammen: »Sie haben also ausgelernt?«
    »Ausgelernt?« klang es ihm entgegen. »Bitte, in welcher Beziehung meinen Sie, mein Herr?«
    »Die Küche meine ich, die Küche.«
    »Ich verstehe Sie nicht.«
    »Nun, Sie konnten bisher nicht kochen?«
    »Nicht kochen? Wer hat Ihnen das gesagt?«
    »Ich erfuhr es so nebenbei.«
    »Von wem?«
    »Von dem Kellner im Hotel Union.«
    »Der sagte, ich könnte nicht kochen?«
    »Er sagte das nicht direct, sondern er theilte mir mit, daß Sie das Kochen im Hotel lernten.«
    Er konnte das Gesicht durch den Schleier nicht deutlich sehen, aber es klang ihm ein helles, lustiges Lachen entgegen.
    »Sie haben sich also nach mir erkundigt?« fragte sie.
    »Ja,« sagte er verlegen. »Ich habe mir erlaubt!«
    »Weshalb?«
    Das klang ganz wie neckischer Backfisch.
    »Weil – weil – wegen – hm, in der Absicht, von wegen des Grundes, daß die Veranlassung – eigentlich war die Ursache – hm, ich sah Sie zuweilen.«
    »Ach so! Sie wünschten zu wissen, wer ich bin?«
    »Ja,« antwortete er, erleichtert aufathmend.
    »Sagte man es Ihnen?«
    »Gewiß.«
    »Daß ich dort kochen lerne?«
    »Und daß Sie Abends elf Uhr nach Hause gehen.«
    »O.«
    »Leider habe ich Sie aber gerade zu dieser Zeit niemals gesehen. Ich wartete da – wollte sagen, ich befand mich zufällig einige Male in der Nähe.«
    Sie lachte wieder halblaut auf und sagte:
    »Und welchen Namen hat man Ihnen gesagt?«
    »Je – Jet – Jette.«
    Jetzt legte sie schnell beide Hände auf den Mund. Ihr Körper zuckte zusammen, doch ließ sie keinen Laut hören; erst nach einer Weile fragte sie: »Einen weiteren Namen hat man Ihnen wohl nicht genannt?«
    »Leider nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Der Kellner wußte ihn selbst nicht. Ihm war nur bekannt, daß Sie in

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