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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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der Küche Jette genannt werden.«
    Sie hatte Mühe, ein lautes Lachen zu unterdrücken.
    »Ja. Dieser Name ist sehr wohlklingend.«
    »Meinen Sie?«
    »Ja. Er hat so etwas Schnelles, Rasches an sich.«
    »Das finde ich freilich auch.«
    »So etwas Saloppes, Gewandtes. Ich habe gerade diesen Namen stets sehr gern gehabt.«
    »Ich nicht.«
    »Es soll freilich vorkommen, daß es Personen giebt, welche ihren eigenen Namen für unschön erklären. Vielleicht gefällt Ihnen Ihr Familienname besser?«
    »Der klingt allerdings hübscher als Jette.«
    »Vielleicht höre ich ihn auch einmal?«
    »Das ist möglich, da ich ja einige Zeit hier bleibe.«
    »Ich hoffe, mich auch länger zu verweilen.«
    »Dann ist es möglich, daß wir uns wiedersehen. Aber bitte, haben Sie noch mehr über mich erfahren?«
    »Ueber Sie selbst eigentlich nicht, aber über Ihren Vater.«
    »Was ist es, das Sie erfahren haben?«
    »Seine Profession.«
    »Ah! O, jetzt, jetzt geht mir – Welche Profession hat man Ihnen genannt?«
    »Er ist Schuhmacher.«
    Er ging wieder wie vorhin ein Zittern über ihren Körper, aber zum Ausbruch ließ sie ihre Lustigkeit doch nicht kommen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie diesen Anfall überwältigt hatte, dann sagte sie:»Darum also fragten Sie heute Vormittag nach dem Laden meines Vaters, Herr von Hagenau?«
    »Ja. Wie? Sie kennen mich?«
    »Ja, man hat mir Ihren Namen genannt. Auch habe ich Sie einige Male gesehen.«
    »Das ist mir sehr interessant!«
    »Es war im Winter. Eine alte Frau war gestürzt, eine Bettlerin. Niemand bot ihr Hilfe. Da gingen Sie vorüber, oder vielmehr nicht vorüber, denn Sie halfen ihr auf, führten Sie durch zwei Gassen nach ihrer Wohnung und drückten ihr dort fünf Gulden in die Hand.«
    »Woher wissen Sie das?« fragte er erröthend.
    »Die arme Frau hat Ihr Lob verkündet.«
    »Meinerseits ganz unverdient.«
    »Dann im vorigen Sommer kamen Sie zufälliger Weise in ein Haus des Altmarktes. Im Hofe saß ein gelähmter Mann. Er konnte sich nicht bewegen. Man hatte ihn dahin gesetzt, damit er einmal reine Luft athme. Sie blieben bei ihm stehen, betrachteten ihn mitleidig und drückten ihm zehn Gulden in die gelähmte Hand.«
    »Ah, woher wissen Sie das?«
    »Der Mann war – und ein anderes Mal begegnete Ihnen eine Frau mit fast ganz verhülltem Gesicht. Sie dachten, daß sie krank war. Sie blieben stehen und fragten nach ihrem Leiden. Sie hatte geglaubt, unheilbar krebskrank zu sein; glücklicher Weise aber handelte es sich nur um eine Flechte. Sie befand sich auf dem Wege der Besserung, so daß sie bereits ausgehen konnte. Sie gaben auch ihr zehn Gulden, ohne von ihr um eine Gabe gebeten zu sein.«
    Er war wirklich schamroth geworden. Sie schob jetzt den Schleier empor. Er blickte in ein rosig schönes, liebes Angesicht, aus welchem zwei milde Augensterne ihm freundlich entgegenstrahlten. Er wußte gar nicht, wie es kam, aber er fühlte plötzlich einen Muth, als ob er jetzt Alles thun und sagen könne.
    »Wie haben Sie auch das erfahren?« fragte er.
    »Ich kenne diese Frau; sie heißt Werner. Und jener gelähmte Mann ist mein Vater.«
    »Ah – O – tausendmal Verzeihung!« stammelte er.
    »Warum Verzeihung?«
    »Weil ich es wagte, ihm ein – ein – ein –«
    »Ein Almosen zu geben, wollen Sie sagen?«
    »Nein, nein! Ein Almosen möchte ich es keinesfalls nennen. Das wäre eine Beleidigung für sie.«
    »Und doch war’s ein Almosen, und beleidigt hat es uns nicht. Sie gaben es freiwillig, Sie waren reich und wir waren arm. Wir hatten nichts zu essen, wir hungerten, und nun konnten wir uns so unerwartet sättigen. Es ist Ihnen noch nicht dafür gedankt worden. Ich muß Ihnen jetzt die Hand geben. Gott mag Ihnen vergelten!«
    Sie streckte ihm das kleine Händchen entgegen; er ergriff es und hielt es fest. Er wußte nicht, was er thun und sagen sollte. Es wurde ihm so warm und so weich um das Herz. Am allerliebsten hätte er dieses Händchen geküßt und das Mädchen dazu. Aber, ob sie das wohl gelitten hätte? Und zudem fiel ihm ein, daß ein Oberlieutenant und Cavalier doch nicht einem Schustermädchen die Hand küßt. Infolge dieses Gedankenvorganges entfuhr ihm der Ausruf: »Sapperment! Ich wollte, ich wäre auch Schuster!«
    »Warum?« fragte sie lächelnd.
    »Weil – weil ein Schuster viel eher und viel leichter glücklich sein kann als Unsereiner.«
    »Sie mögen in gewisser Beziehung Recht haben.«
    »Ganz gewiß habe ich Recht. Nur müßte auch noch Eins viel anders

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