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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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liebt, mehr oder weniger durch die Schönheit der Formen beeinflußt wird. Das Weib liebt weniger die Form als vielmehr den Inhalt. Ich könnte einen schönen Mann hassen und einen häßlichen lieben, beides um ihrer Herzenseigenschaften willen.«
    »Wären Sie dessen wirklich fähig?«
    »Ja.«
    Da bog er sich weiter vor und fragte gespannt:
    »Könnten Sie zum Beispiel mir gut sein?«
    Er glaubte, sie in Verlegenheit zu bringen, sie aber antwortete in aller Seelenruhe:
    »Ja, nämlich wenn Sie Schuster wären.«
    »So aber nicht?«
    »Nein. Oder könnten Sie mich, die Schusterstochter, lieben, obgleich Sie der Sohn eines hocharistokratischen Hauses sind?«
    Ihre Art und Weise der Beweisführung frappirte ihn.
    »Vielleicht dennoch,« antwortete er.
    »Nun dann auch ich Sie vielleicht dennoch,« lächelte sie, indem sie ihm die Hand entzog, welche er bisher festgehalten hatte.
    In diesem Augenblicke stieß der Postillion in’s Horn. Die Beiden hatten in letzter Zeit nicht auf die Gegend geachtet. Jetzt bemerkten sie, daß sie in Reitzenhain angekommen waren.
    Jetzt ging’s an’s Scheiden. Er fragte noch schnell:
    »Wo waren Sie in letzter Zeit?«
    »Hier,« antwortete sie.
    »Jedenfalls in dienender Stellung?«
    »Gewiß,« nickte sie ihm zu.
    »Kennen Sie eine Familie Holm?«
    »Sehr genau.«
    »Es soll eine Tochter da sein?«
    »So viel ich weiß, ja.«
    »O bitte! Sie blicken mich so forschend an. Sie scheinen etwas vorauszusetzen, nicht?«
    »Hätte ich dazu etwa ein Recht?«
    »Nein. Dennoch aber sage ich Ihnen, daß ich diese Dame noch gar nicht kenne.«
    »Noch nicht? Sie wollen sie aber kennen lernen?«
    »Ja. Ich muß nämlich.«
    »Warum?«
    »Ich habe sie zu grüßen. Das ist Alles.«
    »Von wem?«
    »Von einem Freunde, nämlich von dem Herrn, welchen Sie heute am Vormittag bei mir gesehen haben.«
    Es glitt ein höchst schalkhaftes Lächeln über ihre fein ausgearbeiteten Züge, als sie fragte:
    »Hat dieser Herr auch von mir gesprochen?«
    »Natürlich, da er Sie ja gesehen hat.«
    »Was sagte er?«
    »Daß Sie sehr, sehr – hübsch seien.«
    »Das ist nicht viel. Weiter nichts?«
    »Nein.«
    »So, so! Ah, aussteigen! Sie fahren jedenfalls bis zum Schlosse weiter?«
    Der Kutscher hatte gehalten und war abgestiegen, um den Schlag zu öffnen, damit sie aussteige.
    »Bitte,« sagte Hagenau noch in Eile, »darf ich erfahren, bei wem Sie in Condition sind?«
    »Schweigen wir,« antwortete sie. »Was würde man sagen, wenn man bemerkte, daß Sie mit einer Schusterstochter sprechen!«
    Sie eilte fort, und er konnte ihr nicht einmal nachblicken, da sich der Wagen wieder in Bewegung setzte.
    Als er dann oben im Schloßhofe ausstieg, erfuhr er von dem Diener, daß sein Vater sich in seinem Arbeitszimmer befinde. Er begab sich dorthin und trat ein, als Sohn natürlich unangemeldet.
    An dem Tische saß eine lange, schmächtige, weit nach vorn gebeugte Gestalt mit grauen, wohl zu früh gebleichten Haaren. Der Mann blickte sich um und erhob sich vom Stuhle, als er seinen Sohn erkannte.
    »Walther, Du?« sagte er. »So rasch habe ich Dich freilich nicht erwartet.«
    »Du wünschtest Eile, und ich gehorchte natürlich.«
    Sie umarmten und küßten sich. Jetzt sah man die Ähnlichkeit, welche zwischen Vater und Sohn herrschte. Der Erstere fragte: »Bist Du vielleicht von der Reise sehr ermüdet?«
    »Gar nicht, lieber Vater.«
    »So restaurire Dich, und dann wollen wir von der Angelegenheit sprechen, welche Deine Gegenwart wünschenswerth macht.«
    »Restauriren? Meinst Du essen und trinken, die Kleidung wechseln? Das ist nicht nöthig. Ich habe weder Hunger noch Durst. Sprechen wir also gleich jetzt.«
    »Gut. Du bist wie ich. Was man zu fassen hat, das soll man schleunigst fassen. Also setze Dich!«
    Sie nahmen einander gegenüber Platz. Der Vater steckte sich eine Cigarre an und schob dann dem Sohne das Kistchen zu. Als beide Cigarren dampften, begann der Erstere: »Du schriebst um Geld – –«
    »Wörtlich nicht, obgleich mein Wunsch zwischen den Zeilen zu lesen war.«
    »Brauchst Du viel?«
    »Einstweilen nichts. Die Angelegenheit hat sich erledigt.«
    »Das ist mir lieb, denn meine Kasse ist leer. Weißt Du, wer sie geleert hat?«
    »Wir Beide wohl,« antwortete der Sohn lächelnd.
    »Ganz richtig, wir Beide. Wir sind eben echte Hagenaus, sorglos, wohlthätig, großmüthig; dagegen laßt sich nichts sagen. Du weißt, ich liebe es nicht, über Geschehenes zu raisonniren oder gar zu jammern. Man kann das

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