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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Schlüssel bei sich hatte.
    »Ich wohne jetzt möblirt,« sagte sie. »Man darf Ihre Anwesenheit nicht bemerken. Ziehen Sie Ihre Stiefeln aus!«
    »Ah!« fragte er voller Freude. »Ich darf mit hinauf?«
    »Ja.«
    »So haben Sie mich lieb?«
    Er wollte den Arm um sie legen; sie aber wehrte ihm ab und antwortete:
    »So weit sind wir wohl noch nicht. Ich habe mit Ihnen zu sprechen, und zwar unbemerkt und ungestört; das ist der Grund, daß ich Ihnen die Erlaubniß gebe, mit bis in mein Zimmer zu gehen.«
    Sie traten ein und Hulda verschloß die Thür von innen. Hauck nahm an der anderen Straßenseite Posto und sagte zu sich: »Hier bleibe ich, selbst wenn es Pflaumenkuchen regnen sollte. Weiß ich, wo sie wohnt, so muß ich auch seine Wohnung erfahren. Ich warte also, bis er wieder aus dem Hause kommt.«
    Die Beiden erreichten das in der ersten Etage gelegene Zimmer von den Hausbewohnern unbemerkt. Hulda legte das Packet ab, um die Lampe anzubrennen.
    »Das war ein bekannter Ton,« meinte Mehnert. »Das klang gerade so, als ob das Tuch Gold-und Schmucksachen enthielte.«
    »Nicht so neugierig! Und sprechen Sie leiser; man hört uns sonst nebenan. Die Wände sind so dünn. Setzen Sie sich da auf das Sopha!«
    Er gehorchte, gehorchte nur gar zu gern. Das Licht brannte und Mehnert sah, daß er sich in einem sehr traulich eingerichteten Zimmer befand, in welchem zugleich auch das Bett der Inhaberin stand. Diese zog die Stiefeletten aus, um sie mit weichen Pantöffelchen zu vertauschen, wobei ein allerliebstes kleines, weißbestrumpftes Füßchen zum Vorschein kam.
    Dann legte sie auch das Tanzkleid ab, um an Stelle desselben ein Negligeejäckchen anzuziehen.
    »Sie verzeihen!« sagte sie. »Ich bin ja hier zu Hause. Ich will mir es bequem machen.«
    »Thun Sie das, thun Sie das!« antwortete er, indem er die Augen begierig auf die Reize richtete, welche sie entblößen mußte. So schöne, volle weiße Arme hatte er noch nie gesehen und die volle, vom Schnürleib nicht ganz umfaßte Büste war einer Venus würdig.
    Sie gewährte ihm diesen Genuß aus Berechnung, doch that sie, als ob sie gar nicht bemerke, daß sie seinem Blicke Punkte geboten habe, welche sonst verhüllt zu bleiben hatten.
    »So,« sagte sie, »jetzt kann man freier athmen und nun wollen wir auch mit einander sprechen. Rücken Sie ein wenig hin.«
    Sie setzte sich neben ihn auf das Sopha. Dieses letztere war klein und zierlich, so daß die Beiden ganz eng an einander saßen.
    »Hätten Sie,« fragte sie, »als Sie mich das erste Mal sahen, es für möglich gehalten, einmal so hier bei mir zu sitzen?«
    »Ob es möglich sei oder nicht, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Ich habe nur die Sehnsucht nach Ihnen gefühlt.«
    »Ist die denn gar so groß gewesen?«
    »Unendlich groß!«
    »So ist sie also jetzt befriedigt?«
    »O nein, noch nicht.«
    »Sie sind ja bei mir!«
    »Aber nicht so, wie ich es wünsche.«
    »Nun, wie wünschen Sie es denn?«
    »Ungefähr in dieser Weise.«
    Er legte den Arm um sie, um sie an sich zu ziehen; sie jedoch entwand sich ihm und sagte verweisend:
    »Ich sehe, daß Sie keine sehr gute Meinung von mir haben.«
    »Wieso? Die Meinung, welche ich von Ihnen habe, ist die allervortrefflichste.«
    »Keineswegs. Ich sehe Sie heute eigentlich zum ersten Male, und dennoch muthen Sie mir Zärtlichkeiten zu, welche eine lange Bekanntschaft voraussetzen. Wissen Sie, welchen Mädchen man solche Zumuthungen stellen darf?«
    »Was denken Sie, Fräulein Hulda! Die echte, wahre Liebe braucht nicht Jahre, um sich zu entwickeln; sie ist im Augenblicke da und verlangt sofortigen Gehorsam. Wenigstens ist es mir genau so mit Ihnen ergangen. Als ich Sie zum ersten Male sah, da wußte ich, daß mein Leben Ihnen geweiht sein würde.«
    »Sind Sie vielleicht im Besitze eines Briefstellers?«
    »Nein. Warum?«
    »Ich dachte, Sie hätten diese Worte aus einem solchen auswendig gelernt.«
    »Sie sollten nicht spotten!«
    »Ich spotte nicht, ich kann aber nicht glauben, daß ich im Stande sei, einen gar so schnellen und tiefen Eindruck zu machen.«
    »O, da kennen Sie sich ja gar nicht.«
    »Ich glaube, mich sehr gut zu kennen.«
    »Nein. Sehen Sie sich an, wie Sie hier sitzen!«
    »Nun, wie denn?« lächelte sie verführerisch.
    »So, daß man sich alle Gewalt anthun muß, Sie nicht fest und innig in die Arme zu schließen.«
    »Gehen Sie! Was haben Sie denn davon, wenn Sie mich in den Armen halten?«
    »Was ich davon habe?« fragte er erstaunt.

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