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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vorübergekommen seien.
    Er fand den Freiherrn und zu seinem Erstaunen auch dessen Tochter, und zwar in Männerkleidung.
    »Nun, wie steht es mit den Schlüsseln?« fragte Herr von Tannenstein.
    »Ich habe sie.«
    »So kann es wohl losgehen?«
    »Ja. Es ist bereits sehr ruhig auf den Straßen. Wir werden es wagen können.«
    Als sie das Gerichtsgebäude erreichten, gingen sie zunächst recognosciren. Es war kein Mensch zu sehen oder zu hören. Der Schlüssel öffnete. Sie traten ein und schlossen hinter sich zu. Dann brannten sie die Blendlaterne an.
    »Jetzt sollte Jemand kommen!« sagte der Freiherr.
    »Mich würde man nicht fangen,« erklärte seine entschlossene Tochter. »Ich habe da ein scharfgeladenes Doppelterzerol.«
    »Damit würden Sie Alles verderben. Der Schuß würde nur Verfolger herbeilocken. Ich habe mir eine bessere Waffe mitgebracht. Sehen Sie. Einen Todtschläger. Der arbeitet ohne Geräusch und sicher. Kommen Sie!«
    »Kennen Sie die Oertlichkeit genau?«
    »Ganz genau. Ich habe mich natürlich gut unterrichtet.«
    Sie horchten bei jeder neuen Biegung des Ganges oder der Treppe. Endlich blieb Jacob vor einer Thür stehen.
    »Da ist das Zimmer, welches wir suchen.«
    Der Schlüssel öffnete natürlich auch hier. Er steckte mit mehreren anderen kleineren an einem Schlüsselringe. Sie verschlossen auch diese Thür hinter sich, nachdem sie eingetreten waren. Hier nun gab es zwei offene Thüren, welche rechts und links je in ein Nebenzimmer führten. Sie nahmen sich in Acht, den Schein der Laterne nicht so fallen zu lassen, daß er von unten bemerkt werden konnte.
    »Da sind wir,« sagte der Freiherr. »Wo aber wird diese Geschichte stecken?«
    »In einem offenen Behältnisse jedenfalls nicht, sondern in einem Schranke. Wir müssen eben suchen.«
    Schränke befanden sich nur in dem Nebenzimmer rechts. Sie konnten mit Hilfe der mitgebrachten Schlüssel geöffnet werden, und nun begann die Nachforschung.
    Sie gaben sich dabei Mühe, ja nicht etwa eine Spur ihrer Anwesenheit zurückzulassen. Endlich fand sich ein Kästchen, in welchem sich das Gesuchte befand.
    »Da ist’s!« meinte Jacob Simeon. »Jetzt nun schnell es untersuchen! Sodann müssen wir es wieder zurückschaffen.«
    »Wollen erst sehen, ob dies nöthig ist. Zeigen Sie her!«
    Theodolinde betrachtete Stoff, Façon und Stickerei aufmerksam beim Scheine der Laterne und sagte dann: »Wir brauchen es nicht mitzunehmen. Papier und Bleistift giebt’s hier genug. Ich fertige genaue Zeichnungen, nach welchen wir die Copien anfertigen. Morgen Abend sind wir fertig und können den Umtausch bewerkstelligen.«
    Das war dem Goldarbeiter auch recht. Die Zeichnungen wurden genau angefertigt, dann brachen die Drei wieder auf, natürlich besorgt, Alles genau so zurückzulassen, wie sie es vorgefunden hatten. –Als unten die Pforte wieder verschlossen war und sie sich nun entfernen wollten, stießen sie, wie bereits erwähnt, auf Mehnert, dem sie nach dessen Wohnung folgten, wobei der Paukenschläger von Jacob Simeon den Hieb erhielt, welcher ihm hätte das Leben kosten können.
    Nach einiger Zeit fand ein Nachtwächter den regungslos Daliegenden. Er pfiff Hilfe herbei, um ihn nach der nächsten Hilfsstation schaffen zu lassen, wo er zufällig erkannt wurde. Am anderen Morgen war in den Blättern zu lesen:
    »In letzter Nacht fand man den Musikus Hauck, einen jungen, kräftigen Mann, ohne Besinnung auf der Straße liegend, auf. Die ärztliche Untersuchung ergab, daß ein Schlag an den Kopf die Ursache dieses Falles sei. Es läßt sich vermuthen, daß der beinahe tödtliche Hieb mit einem sogenannten Todtschläger ausgeführt worden ist. Da der Patient bis jetzt seine Besinnung noch nicht wieder erlangt hat, so bleibt der Vorgang noch in Dunkel gehüllt. Glücklicher Weise aber steht zu hoffen, daß der Verletzte mit dem Leben davonkommen werde.«
     
    Kurz nach Mittag schlenderten Anton und Adolf der Gasse zu, in welcher Mehnert wohnte.
    »Ja,« sagte der Erstere, »es ist so, wie ich sage. Jacob Simeon soll gestern Abend gesehen worden sein. Nachtwächter Nummer Zwanzig will ihn erkannt und auch angerufen haben, doch ist der Kerl schnell enteilt.«
    »Es ist allerdings möglich, daß er sich noch in der Stadt aufhält und sich des Nachts nur auf die Gassen wagt. Er mag Wind von dem Verdachte bekommen haben, in welchem er steht. Daß er da so plötzlich verkauft hat und verschwunden ist, gereicht ihm keineswegs zum Vortheile und zur Rechtfertigung.

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