Der verlorne Sohn
einem Kusse?«
»Diese Antwort möchte ich Sie selbst errathen lassen.«
»Gut! Ich rathe! Aber erlauben Sie, daß ich die Antwort nicht in Worten, sondern gleich im Beispiel gebe.«
Er küßte sie auf den Mund, den sie ihm willig und ohne sich zu zieren entgegen hielt.
»Nun sind wir wohl am Schlusse der gesellschaftlichen Gefühlserweisungen angekommen?« meinte sie dann.
»Ich glaube nicht. Wir haben noch die letzte und höchste Stufe zu erklimmen. Es handelt sich um die Liebe!«
»Ah! Ist Ihnen dieselbe bekannt, Durchlaucht?«
»Bis vor zwei Minuten noch nicht. Jetzt aber muß ich Sie wirklich fragen, in welcher Weise ich im gegenwärtigen Falle der Dame zu beweisen hätte, daß ich sie liebe!«
Sie lag im Nachtkleide auf dem Ruhebette, über welches eine rothseidene Decke gebreitet war. Bisher hatte er von ihr nur die Hand gesehen, welche sie unter der Decke hervor ihm gereicht hatte, und den Kopf, dessen Haare in ein Netz gebracht waren, durch dessen Maschen einige Strähnen sich durchgestohlen hatten. Jetzt aber war es, als ob die Decke ihr zu schwer werde. Sie zog die Arme unter derselben hervor und man konnte nun die immer noch prächtige Büste und den üppigen Bau der Arme bewundern.
»Hierauf kann ich Ihnen nur antworten,« sagte sie, »daß Sie wirklich ein Schüler sind.«
»Ah! Wirklich?«
»Ja. Wenn Sie die Dame wirklich liebten, würden Sie gar nicht fragen. Die wahre Liebe lehrt ohne Worte, wie sie sich zu bethätigen hat, Durchlaucht!«
»Dann ist meine Liebe allerdings eine wahre, denn ich fühle nicht das mindeste Verlangen, sie durch Worte zu beweisen.«
Er nahm ihren Kopf in seinen Arm, drückte sie an sich und gab ihr Kuß um Kuß auf Stirn, Mund, Wangen, Hals und Arme. Sie schlang die Letzteren dann um ihn und fragte mit jener leisen Stimme, welche die hingebende Liebe in Anwendung zu bringen pflegt:»So lieben Sie mich also wirklich, wirklich?«
»Ja, wirklich,« antwortete er: »wenn nämlich Ihre Erklärung vorhin die richtige gewesen ist.«
»Es war die richtige. Aber erlauben Sie, daß ich der Zofe klingle, um Toilette zu machen!«
Sie setzte sich empor und langte zur Glocke. Doch ehe sie dieselbe noch in Bewegung gesetzt hatte, klopfte es an die Thür; das Mädchen steckte den Kopf herein und sagte: »Frau Regierungsrath von Krausberg läßt fragen.«
»Ah! Wie unangenehm!«
Aber schnell hatte sich der Fürst erhoben und sagte:
»Meine Zeit ist abgelaufen, Frau Baronin. Darf ich in der Ueberzeugung gehen daß die gestrige Plaisir Sie befriedigt hat?«
»Ich danke, ich kam doch etwas angegriffen nach Hause, weshalb Sie mich heute noch ruhend fanden. Werde ich bald die Ehre haben, Sie wieder begrüßen zu können?«
»Der Schüler wird baldigst gezwungen sein, sich Rath zu holen.«
Er küßte ihr die Hand und ging. Das Mädchen erhielt den Befehl, die Räthin einzulassen. Jetzt befand sich die Baronin für einige Augenblicke allein. Sie klatschte triumphirend die Hände zusammen und sagte:»Gewonnen! Gewonnen! Er liebt mich! Er soll sich vor meinen Wagen spannen und mich im Triumph durch alle Salons ziehen! Die Anderen, diese Hoch-und Edelgeborenen sollen bersten vor Neid!«
Und er, als er langsam die Treppe hinabschritt, stieß ein kurzes Lachen aus und flüsterte vor sich hin:
»Eine frühere Zofe geküßt!
Fi donc
! Verzeihe mir, mein Sonnenstrahl, denn nur mit Widerstreben spiele ich den Hausfreund – den Anbeter. Es ist aber leider der einzige Weg, welcher zur Entlarvung des Doppelmörders führt. Ihr Mann, dieser Baron ist der ›Hauptmann‹; das ist sicher. Sie soll ihn mir an das Messer liefern!«
Der Baron war, als er seine Wohnung wieder aufgesucht hatte, in ein Cabinet gegangen, welches selbst sein Kammerdiener nicht betreten durfte. Dort gab es eine außerordentliche Auswahl der verschiedensten Kleidungsstücke und Toilettemittel. Als er wieder heraustrat, hatte er sich als Engländer verkleidet. Eine Brille ließ die Blessur seines Auges nicht erkennen.
Er stieg eine schmale Seitentreppe hinab, durchschritt einen ziemlich finsteren Corridor und trat dann durch eine Pforte, welche er wieder verschloß, hinaus in das Freie. Kein Mensch hätte in dem hageren Englishman den Baron von Helfenstein erkannt.
Langsamen Schrittes spazierte er durch mehrere Gassen, bis er die Wasserstraße erreichte. In Nummer Elf trat er ein und stieg bis zu der Thüre empor, an welcher der Name »Wilhelm Fels, Mechanikus«, zu lesen war. Er horchte eine Weile und vernahm
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