Der verlorne Sohn
sofort zu verstehen. Darum fragte sie:
»Eine Beschränkung? Wäre das meine Absicht gewesen?«
»Ich meine das Wort ›schnellstens‹. Wenn ich mir schnellstens eine Lehrerin wählen soll, so finde ich hier ja nur eine einzige Dame, und ich habe kein Recht zu glauben, daß diese Dame mir Ihre Theilnahme und Nachsicht widmen möchte.«
»Nur die Ueberzeugung vermag zu überzeugen.«
»Ich gehe auf dieses in das Deutsche übersetzte französische Sprichwort ein. Darf ich mir Ueberzeugung holen?«
Sie lächelte ihm ermuthigend entgegen und antwortete:
»Ich gestatte es.«
»Wie, Sie wollten die Taube sein, nach der ich meinen Flug richten darf?«
»Gern! Fliegen Sie in unserem Hause so oft ein und aus, als es in Ihrem Wunsche liegt.«
»So werde ich jetzt als Barbarenkrähe eingeflogen sein und einst als gewandte Schwalbe das Weite suchen.«
»Ich hoffe, daß bis dahin noch recht lange Zeit vergeht.«
»Das werden Sie ganz in Ihrer Gewalt haben. Theilen Sie den Unterrichtskursus, den ich hier zu nehmen gedenke, in so viel wie möglich Lectionen ein.«
»Ich werde dies thun und zugleich den Vortheil verfolgen, mit den Lectionen so spät wie möglich zu beginnen.«
»Ich finde das sehr weise gehandelt, meine schöne Lehrerin. Aber doch bin ich begierig, zu erfahren, welche Methodik Sie verfolgen?«
»Sie wünschen eine Probelection?«
»Allerdings!«
»Also eine Probelection aus dem Buche über den Umgang mit Menschen?«
»Ja, und zwar aus der Abtheilung mit dem Umgang mit Damen.«
»Diese Probelection sei Ihnen gewährt.«
»Darf ich das Thema wählen?«
»Ich hoffe, Sie werden wählen den Umgang mit Damen im Salon. Nicht?«
»Nein!«
»Im Theater?«
»Nein.«
»Auf der Promenade?«
»Allerdings auch nicht.«
»Auf Ausflügen, beim Picknick?«
»Noch weniger.«
»Auf Reisen, im Coupee?«
»Ganz und gar nicht.«
»Ich gestehe, daß Sie mich in Verlegenheit bringen, denn meine Themata sind fast ganz erschöpft!«
»Geben wir uns Mühe, noch einige aufzufinden.«
»Ueber den Umgang mit Damen bei Familienfesten?«
»Das ist es nicht.«
»In der Häuslichkeit?«
»Wir nähern uns.«
»Ah! Im Boudoir?«
»Ja, das ist es, um was ich bitten möchte.«
»Sie befanden sich noch nie im Boudoir einer Dame?«
»Zuweilen doch; aber ich betrug mich als Barbar. Ihre gegenwärtige Lection soll den Fehler mildern.«
»So meinen Sie, daß ich beginnen soll?«
»Ich flehe Sie darum an, meine liebenswürdige Erzieherin.«
Sie lachte glücklich vor sich hin. Sie war der Ansicht, daß sie auf dem besten Wege sei, ihn in sich verliebt zu machen. Darum bemerkte sie mit einem wiederholten Kopfnicken: »Ich bemerke bereits, daß mein Zögling nicht ohne gesellschaftliche Talente ist. Nehmen wir also an, daß Sie bei einer Dame eintreten. Sie sind gemeldet, und wenn Sie – –«
»Pardon!« unterbrach er sie. »Beginnen wir mit etwas Späterem! Ich bin ja bereits eingetreten. Ich sitze sogar bereits bei der Dame. Beginnen wir also bei diesem Zeitpunkte.«
»Wie Sie wünschen, mein wißbegieriger Schüler! Fragen Sie also gütigst, und ich werde antworten.«
»Das wird die gegenwärtige Lehrstunde höchst interessant machen. Also ich sitze, nehmen wir an, bei einer Dame, welche mich auf italienische Manier empfangen hat –«
»So wie ich.«
»Ja. Diese Dame ist aber leider verheirathet –«
»So wie leider auch ich.«
»Wie würde ich dieser Dame zum Beispiel meine Ehrerbietung erweisen? Etwa, indem ich ihr die Finger küsse?«
»Ja, das würde das Richtige sein.«
»So erlauben Sie mir, Sie zu verehren.«
Er nahm ihre Hand in die seinige und drückte seine Lippen auf die Fingerspitzen, ohne aber die Hand dann frei zu geben.
»Meine Hochachtung würde ich wohl durch einen Kuß auf die Hand beweisen? Etwa so?«
»Ja, so!« lachte sie vergnügt, als er die Hand wirklich küßte.
»Das war die Hochachtung und Ehrerbietung. Jetzt kommt die Zuneigung. Natürlich auch durch einen Kuß. Aber wohin?«
»Nicht anders als auf die Stirn,« belehrte sie ihn.
»Ah! So vielleicht?«
Er beugte sich über sie und küßte sie auf die Stirn.
»Ganz recht,« stimmte sie bei. »Sie erfassen die Regeln der guten Gesellschaft mit einer rapiden Schnelligkeit!«
»Diese Anerkennung macht mich so glücklich, daß ich den Muth finde, sofort zur nächsten Stufe weiter zu gehen.«
»Welche wäre das?«
»Das, was man ›Jemandem gut sein‹ nennt!«
»Ah, das ist interessant!«
»Wie bezeichnet man dies mit
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