Wolfsinstinkt
Ricky Coleman erreichte das Ziel seiner Reise an einem sonnigen Nachmittag. Der Schnee um ihn herum glitzerte wie Millionen Diamantensplitter und die Luft, so kalt sie auch war, schien ihm bis ins Hirn zu dringen und jeden Mief aus New York innerhalb weniger Sekunden zu vertreiben. Es hatte zwei Flugzeuge gebraucht, um ihn von New York nach Anchorage zu bringen, einen Charterflug nach Cordova im Osten des Landes, wo er auf einem winzigen Flugplatz mit dem einfallsreichen Namen ‚Smith Airport‘ gelandet war. Von dort begann eine mehrstündige Fahrt in einem Bus, der allem Anschein nach nur noch mit Draht und Gebeten zusammengehalten wurde, bis er hier angekommen war, in einer kleinen Stadt im Süden, die Katalla hieß. In den Dimensionen dieses Landes lag der Beringsee nordöstlich verhältnismäßig nahe, gleich dahinter reckte sich unter anderem der Mount Hamilton in den Himmel. Ein Taxi brachte ihn von dort aus zu einem Dorf, dessen Namen er sich nicht merken konnte. Danach stand ihm noch eine Wanderung bevor, die ihn zu seinem Haus bringen sollte. Nun hatte er es endlich geschafft. Alaska.
Der Schweiß, der sich während des anstrengenden Fußmarsches vom Dorf hinauf zu seinem Domizil auf seiner Stirn gebildet hatte, begann zu gefrieren. Trotzdem blieb Ricky noch einen Moment stehen und ließ den Anblick des Hauses auf sich wirken. Es war klein und hatte vermeintlich wenig Grundfläche, Ricky hoffte allerdings, dass die Maklerin ihm nicht zu viel versprochen hatte. Angeblich gab es rund 70m² Wohnfläche, aufgeteilt auf zwei Etagen. Ganz für ihn alleine.
Als Ricky klar wurde, dass er seine Zehen in den schweren Stiefeln nicht länger spüren konnte, stapfte er den zugeschneiten Weg hoch bis auf die Veranda. Sie knarrte unter jedem seiner Schritte. Ricky störte sich nicht daran. Ein Knarren wie dieses gehörte einfach in solche Häuser. Mühsam kämpfte er sich aus einem seiner Handschuhe und fischte einen Schlüssel aus der Tasche. Beladen mit Rucksack, Reisetasche und einem Koffer, der eine schöne Spur vom Dorf aus hier hoch gezogen hatte, trat er ein.
„Meine Fresse, ist das kalt hier!“ Leise fluchend strampelte Ricky sich die Stiefel von den Füßen.
Im Haus war es nicht viel wärmer als draußen. Hastig sah er sich um und entdeckte den Kamin. Er ließ sein Gepäck zunächst achtlos zurück, warf die Handschuhe beiseite und schaffte es mit einiger Anstrengung, ein Feuer im Kamin zu entfachen. Gott sei Dank hatte er der Maklerin einiges an Geld zukommen lassen, damit bei seiner Ankunft das Meiste fertig war. Gutes Feuerholz gehörte in dieser Gegend eindeutig dazu.
Allerdings musste Ricky feststellen, dass es dauerte, bis so ein Feuer ein Haus aufwärmen konnte. Es war wohl besser, wenn er etwas in Bewegung blieb. Er warf einen zusätzlichen Scheit ins Feuer, rieb die Hände aneinander und wandte sich dann endlich seiner Unterk unft zu. Zunächst galt es, erst einmal alles zu erkunden.
Neugierig verließ er das, was anscheinend das Wohnzimmer darstellen sollte, und stand gleich darauf in der Küche, die ihm ein lautes Lachen entlockte. In einer Ecke stand ein wahres Monster von einem Herd, das ebenfalls mit Holz beheizt wurde. Die restliche Einrichtung war im Landhausstil gehalten – äuß erst passend, wie er fand. Das Einzige, das den romantischen Look ein wenig schmälerte, waren die Kisten und Kartons, die neben einem massiven Holztisch aufgestapelt waren.
Ricky seufzte. Darin befanden sich einige seiner Habseligkeiten, die er vor ein paar Wochen vorausgeschickt hatte. Wahrscheinlich würde er die nächsten Tage erst einmal damit verbringen, die Kartons auszuräumen und für alles einen geeigneten Platz zu finden. Hoffentlich gelang ihm das, immerhin war er sich nicht mal sicher, fü r sich selbst einen passenden Platz gefunden zu haben. Kopfschüttelnd wandte er sich von der anstehenden Arbeit ab. Erst wollte er sich den Rest des Hauses ansehen.
Vom Wohnzimmer führte eine weitere Tür in das Bad, das, wie er feststellte, überraschend modern war. Hier konnte man vergessen, dass es draußen eisige Minustemperaturen hatte.
Ricky nickte zufrieden, schloss die Tür und stieg über knarzende Treppenstufen in den ersten Stock. Schlafzimmer und ein helles Atelier hatte die Maklerin ihm im Obergeschoss angepriesen, und genau das fand er vor. Das Schlafzimmer war nicht groß, aber er brauchte nicht viel Platz für sein Bett. Das Atelier dagegen, in dem er arbeiten wollte, war umso größer und
Weitere Kostenlose Bücher