Der verlorne Sohn
zwei weibliche Stimmen. Dann klopfte er an und trat ein.
Die Blinde saß, wie immer, auf der Ofenbank. Marie war bei ihr. Sie hatte einige Augenblicke erübrigt, um einmal nach der armen, einsamen Frau zu sehen. Als sie den fremdländischen Herrn eintreten sah, zog sie sich bescheiden in eine Ecke zurück.
Er grüßte in englischer Aussprache und fragte:
»Hier wohnt Herr Fels, Mechanikus?«
»Ja, mein Herr,« antwortete die Mutter.
»Ist er daheim?«
»Nein. Er ist auf Arbeit.«
»Wann kommt er zurück?«
»Um die Mittagszeit.«
»Er arbeitet privatim an einer Maschine? Nicht?«
»Ja, mein Herr.«
»Es ist diejenige, welche ich bei ihm bestellt habe. Wann wird er mit ihr fertig sein?«
»Er sprach davon, daß es noch vor Weihnachten geschehen werde.«
»Das ist mir lieb, denn ich muß sie bis dahin haben. Ich werde heute oder morgen Abend wiederkommen.«
Er ging. Da sprang Marie herbei und öffnete ihm die Thür. Sie huschte mit hinaus und begleitete ihn bis hinunter in den Hausflur, wo sie ihn durch ihre Anrede veranlaßte, stehen zu bleiben.
»Entschuldigung, Mylord!« sagte sie. »Darf ich Ihnen wohl eine kleine Bitte vortragen?«
Sie hatte gar keine Ahnung, daß sie vor Demjenigen stand, der sie schon so oft verfolgt hatte. Seine Brille verdeckte den begierigen Blick seines Auges.
»Was für eine Bitte?« fragte er.
»Wenn Wilhelm zu Hause gewesen wäre, hätte er es Ihnen selbst gesagt.«
»Wilhelm? Wer ist Wilhelm?«
»Eben der junge Mechanikus, welcher für Sie arbeitet.«
»Sind Sie vielleicht seine Schwester?«
»Nein,« antwortete sie verlegen.
»Seine Verwandte?«
»Nein.«
»Ah! Also seine Braut, seine Geliebte!«
»Ja, Mylord,« gestand sie erröthend. »Und gerade darum werden Sie mir es nicht übelnehmen, daß ich an seiner Stelle spreche.«
»Reden Sie!«
»Wilhelm ist arm. Er kann das theure Material, welches er zu Ihrer Maschine braucht, nicht kaufen. Er hat es sich aus den Vorräthen seines Prinzipales geborgt, aber ohne dessen Erlaubniß. Wenn dieser es bemerkt, so wird Wilhelm gar als ein Dieb gelten können. Darum wollte er Sie bitten, und ich thue es hier in seinem Namen, ihm doch einen Vorschuß zu zahlen, damit er das Geld für das Material entrichten kann.«
Er blickte sie vom Kopfe bis zu den Füßen an und sagte:
»Ich werde ihm, wenn ich komme, das Geld bringen. Adieu!«
Sie kehrte, innig vergnügt, nach oben zurück. Er ging wieder nach Hause. Als er sich dort umgezogen hatte, rieb er sich die Hände.
»Zwei Fliegen, zwei Fliegen mit einer Klappe!« meinte er. »Dieser Fels ist einer der geschicktesten Arbeiter. Ich kann ihn gebrauchen, wie keinen Zweiten. Aber unehrlich muß er erst gemacht werden! Jetzt endlich habe ich ihn in den Händen! Das habe ich ja mit dem Maschinenschwindel bezweckt. Er soll noch heute arretirt werden! Muß er sich dann einmal unter die Diebe zählen lassen, so erhält er keine Arbeit mehr und fällt mir zu! Und dieses dralle, kernige Mädchen! Ein Appetitsbissen! Ah! Also seine Geliebte! Dieser Kerl hätte sie mir gar noch weggeschnappt! Aber gerade ihre Liebe zu ihm soll sie mir in die Falle bringen! Es klappt Alles so gut, daß ich zufrieden sein kann.«
In der Mittagsstunde verließ er in einer anderen Kleidung wieder sein Palais und wendete sich einer der belebtesten Straßen zu, wo er in ein mechanisches und optisches Atelier eintrat.
»Ist Herr Hartwig zu sprechen?« fragte er.
»Ich bin es selbst,« antwortete der Herr, welchen er gefragt hatte.
Die Arbeiter waren alle zu Tische gegangen, und darum pflegte der Prinzipal um diese Zeit stets selbst im Laden zu verweilen.
»Womit kann ich dienen, mein Herr?« fragte er.
»Mir mit nichts; aber ich denke, daß ich Ihnen dienen kann.«
»So, so! Haben Sie vielleicht Etwas zu verkaufen?«
»Nein, aber Etwas zu zeigen. Hier, Herr Hartwig!«
Er zog eine Polizeimarke aus der Tasche und zeigte sie vor.
»Ah, Sie sind Detective?« fragte der Ladenbesitzer.
»Ja, wie Sie sehen! Arbeitet bei Ihnen ein gewisser Wilhelm Fels?«
»Ja.«
»Was ist das für ein Mensch?«
»Es ist mein geschicktester und zuverlässigster Arbeiter.«
»So, so! Hm, hm! Wirklich zuverlässig?«
»Ja.«
»Auch treu?«
»Ich halte ihn dafür. Warum fragen Sie, mein Herr?«
»Weil wir ihm schon längst wegen Dingen auf der Fährte sind, deren Erwähnung hier nichts zur Sache thut. Bei dieser Gelegenheit haben wir bemerkt, daß er Ihnen Material unterschlägt.«
»Dazu halte ich ihn nicht für
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