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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Jetzt blieb Doctor Holm erstaunt stehen und fragte:
    »So weiß man bei Ihnen daheim gar nicht, daß Sie nach Reitzenhain wollen?«

»Nein. Ich werde sie durch einen Dienstmann benachrichtigen.«
    »Das klingt ja sehr geheimnißvoll!«
    »Ist es auch. Ich will ein Geheimniß entdecken.«
    »Sapperment! Ich auch.«
    »Wo?«
    »In Grünbach droben.«
    »In Grünbach, wo auch ich ein Räthsel verfolge?«
    »Sonderbar, lieber Bertram! Auch ich bin erst seit drei Minuten auf den Gedanken gekommen, da droben ein Geheimniß zu ergründen.«
    »Wieso?«
    »Ich belausche ein Gespräch.«
    »Oh! Ich auch.«
    »Zwischen einem Manne und einem Mädchen.«
    »Ganz wie ich.«
    »Sie schienen Vater und Tochter zu sein.«
    »Wunderbar! Das ist ja ganz mein Fall!«
    »Wirklich? Wir werden doch nicht ein und dasselbe Paar belauscht haben?«
    »Ich glaube kaum.«
    »Stecken Sie vielleicht in einer Bude?«
    »Bude? Nein. Ich weiß von keiner Bude.«
    »Dachte es mir! Aber desto sonderbarer ist es mir, daß wir Beide Vater und Tochter belauscht haben und da auf den Gedanken gekommen sind, droben in Grünbach ein Geheimniß zu entdecken. Nun fehlt nur noch, daß sich Ihr Geheimniß auf dieselbe Person bezieht wie das meinige.«
    »Welche Person meinen Sie?«
    »Einen gewissen Robert von Helfenstein.«
    »Herrgott, den meine auch ich!«
    »Alle Teufel! Es handelt sich dabei um eine Kette?«
    »Freilich!«
    »Um Kinderwäsche?«
    »So scheint es.«
    »Mir bleibt der Verstand still stehen! Es scheinen hier Zeichen und Wunder zu geschehen. Sie müssen mir erzählen, was Sie erlauscht haben.«
    »Und Sie mir auch.«
    »Natürlich. Aber da kommt eine leere Droschke. Steigen wir ein, damit wir nicht zu gehen brauchen. Im Wartesaale können wir uns dann aussprechen.«
    Mit Hilfe einer Droschke gelangten sie sehr schnell nach dem Bahnhofe. Dort setzten sie sich in eine ungestörte Ecke des Wartesaales, und Doctor Holm erklärte: »Ich habe freilich nicht dieses Geheimnisses wegen die Reise unternommen. Mein Vater befindet sich mit der Schwester in Bad Reitzenhain; meine Braut ist gestern hinauf, um Beide zu besuchen, und ich fahre heute nach, um einen Tag oder zwei bei ihnen zuzubringen. Ich komme da über den Wilhelmsplatz, als mir ein Kofferhenkel zerreißt. Ich nahm den Plaidriemen aus der Tasche, um den Koffer damit zu schnüren. Ich trat an eine der auf dem Platze stehenden Verkaufsbuden, weil sich auf dem Auslegebrete derselben die Sache bequemer machen ließ. Ich war beinahe fertig, als ich Schritte hörte, von rechts und von links. Ich lausche nicht gern; aber was ich da hörte, das bewog mich, meine Anwesenheit auf keinen Fall merken zu lassen.«
    »War es wichtig?«
    »Vielleicht. Die Beiden waren ein Mann und ein Frauenzimmer, Vater und Tochter, wie ich bald hörte. Die Letztere dient bei irgend einem Staatsanwalte und hatte dem Ersteren Schlüssel geborgt. Warum, das konnte ich nicht erfahren. Sie fragte, ob das Abenteuer gelungen sei; er antwortete bejahend. Dann war die Rede von viel Geld, ich glaube von fünfundzwanzigtausend Gulden, die für eine Kette bezahlt worden seien, und von einer ebenso großen Summe, welche heute Abend ausgezahlt werden solle, vielleicht auch morgen. Die Beiden sprachen für mich in halben Räthseln. Ich konnte nur so viel entnehmen, daß es sich darum handelte, nachzuweisen, daß irgend Jemand der echte Robert von Helfenstein sei. Dabei war von einem Freiherrn von Tannenstein und seiner Tochter die Rede. Kurz und gut, es handelte sich um ein Geheimniß, welches ich ergründen muß. Der Mann sagte, er werde von dem Freiherrn an der Linde erwartet, welche am Schloßwege stehe, heute punkt Mitternacht.«
    »Konnten Sie die Beiden nicht festhalten?«
    »Nein.«
    »Warum nicht? Sie brauchten ja nur die Hände auszustrecken!«
    »Werde mich hüten.«
    »Auf Ihren lauten Ruf wären Ihnen genug Wächter zur Hilfe gekommen.«
    »Das weiß ich sehr wohl. Ich hatte auch wirklich zunächst den Gedanken, das saubere Paar zu ergreifen, dann aber sah ich ein, daß dies die größte Dummheit sei, welche ich machen könne.«
    »Warum eine Dummheit?«
    »Die Beiden hätten sicherlich nichts eingestanden. Am Besten ist es, sie ihren Plan ausführen zu lassen und sie dabei zu ergreifen. Freilich kenne ich den Plan noch gar nicht, hoffe aber das Nöthige zu erfahren. Auf jeden Fall finde ich mich um Mitternacht bei der Linde ein.«
    »Und ich bin dabei.«
    »Wirklich? So handelt es sich also in der That um eine und dieselbe

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