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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vom Bocke, nahm den Hut ab und sagte zum Freiherrn: »Darf ich die Herrschaften um die Fahrscheine bitten?«
    »Wozu?«
    »Es ist der Plätze wegen.«
    »Pah! Wir Beide haben Plätze!«
    »Aber vielleicht die falschen Plätze.«
    »Geht uns nichts an. Wir sind zuerst eingestiegen.«
    Da sagte Holm:
    »Diese beiden Personen scheinen noch nie mit der Post gefahren zu sein, da sie nicht wissen, in welcher Weise die Plätze vergeben werden.«
    »Schweigen Sie, Unverschämter!« antwortete Tannenstein. »Sie haben uns während der ganzen Fahrt belästigt.«
    »Das ist freilich wahr. Wir haben sie gegrüßt. Das ist eine Belästigung, die Sie gar nicht zu verdienen scheinen.«
    »Das ist stark! Postillion, befreien Sie uns von diesen beiden Personen.«
    Der Genannte kratzte sich verlegen in den Haaren und antwortete:
    »Was das betrifft, so mag es auf der nächsten Station ausgemacht werden. Ob Jemand unwürdig ist, mitzufahren, darüber habe nicht ich zu entscheiden. Aber ob jeder Passagier seinen richtigen Platz hat, darauf habe ich zu sehen. Bitte also die Fahrscheine.«
    »Ist nicht nöthig.«
    »Ganz richtig,« nickte Holm. »Es ist nicht nöthig, daß Sie die Fahrscheine der Anderen betrachten. Hier ist der meinige – Nummer Eins, sehen Sie? Und mein Freund hier hat Nummer Zwei.«
    »Hm! Das ist dumm!« brummte der Rosselenker.
    »Warum dumm? Die anderen Passagiere haben also Nummer Drei und Vier. Wir hätten uns schweigend verhalten. Da man uns aber unsere Höflichkeit mit Rohheit vergilt, so verlangen wir die uns gebührenden Plätze.«
    »Verflucht!« brummte der Postillon in den Bart.
    »Sie haben nicht zu fluchen, sondern Ihre Pflicht zu thun!«
    »Das ist freilich wahr. Also Sie bestehen darauf?«
    »Ja.«
    Der Kutscher kannte den Freiherrn und dessen Tochter. Er meinte jetzt möglichst demüthig zu ihnen:
    »Ja, meine Herrschaften, da kann ich nicht helfen. Sie müssen sich eben hier herüber setzen.«
    »Sie phantasiren wohl?« fragte Tannenstein.
    »Nein, das Nervenfieber habe ich noch nicht; aber ich kann es leicht bekommen, wenn es so fortgeht. Bitte, geben Sie Nummer Eins und Zwei frei!«
    »Niemals! Fällt uns nicht ein. Fahren Sie weiter! Auf der nächsten Station werde ich mich übrigens beschweren. Wer mit seinem Platze nicht zufrieden ist, mag aussteigen und auf Schusters Rappen fahren.«
    »Na, was soll man da thun!« meinte der Postillon, indem er Holm rathlos anblickte.
    »Ihre Pflicht,« antwortete dieser.
    »Die thue ich ja.«
    »Nein. Sie bitten nur, aber Sie befehlen nicht.«
    »Na, man gehorcht mir doch nicht!«
    »So sind wir Beide also auf uns selbst angewiesen. Wir haben unsere Plätze gelöst und bezahlt; wir wollen sie haben. Wer uns dabei im Wege ist, der mag sehen, wo er bleibt. Ich bitte also zum letzten Male, unsere Sitze freizugeben.«
    »Lassen Sie sich nicht auslachen!« sagte der Freiherr.
    »Allerdings nicht. Wenigstens glaube ich nicht, daß Sie der Manne sind, uns auszulachen.«
    »Keine Beleidigung weiter! Sie wissen nicht, wer und was ich bin!«
    »Das weiß ich sehr genau.«
    »Nun, was bin ich?«
    »Ein Flegel!«
    »Mensch! Ich werde Sie auf der nächsten Station arretiren lassen! Ich bin der Freiherr von Tannenstein.«
    Da fiel Robert schnell ein:
    »Das ist nicht wahr, das ist eine Lüge!«
    »Ah! Sie Grünschnabel wollen auch mit reden?«
    »Ja, und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit Thaten. Hier meine Antwort auf den Grünschnabel!«
    Er holte aus und gab ihm eine so mächtige Ohrfeige, daß dem Getroffenen Hören und Sehen verging.
    »Sehr gut, so!« lachte Doctor Holm. »Wenn er damit nicht zufrieden ist, stehe auch ich zur Verfügung.«
    Der Freiherr wußte gar nicht, ob er lachen oder weinen solle. Dann bemächtigte sich seiner eine entsetzliche Wuth, aber trotz derselben wagte er keine thätliche Erwiderung. Er schimpfte und tobte und drohte mit allem Möglichen. Seine Tochter stimmte ein. Beide befahlen dem Postillon, die Fahrt fortzusetzen, dieser aber, im Innern sehr erfreut über die Lection, welche der Freiherr erhalten hatte, antwortete: »Das geht nicht so rasch. Erst muß die Platzgeschichte in Ordnung gebracht werden.«
    »Aber ich gebiete Ihnen, weiter zu fahren. Ich verantworte Alles, Alles, ich, der Freiherr von Tannenstein.«
    »Es geht aber nicht.«
    Da sagte Robert zu dem Postillon:
    »Lassen Sie sich nicht etwa durch irgendeinen Titel einschüchtern. Dieser Mensch nennt sich zwar Freiherr, ist aber keiner. Ein Herr vom Adel kann niemals ein so

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