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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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–«
    Sie zögerte, fortzufahren, daher forderte er sie dazu auf.
    »Sprechen Sie getrost weiter!«
    »Ich meinte, daß er eine große Angst ausgestanden hat.«
    »Weshalb?«
    »Ob der Riese Bormann wirklich zurückkehren würde!«
    »Ich hatte es ihm versprochen, und ich pflege Wort zu halten. Man hat doch nichts bemerkt?«
    »Kein Mensch.«
    »Nun, so möchte ich noch eine Offerte an Sie richten.«
    »Welche?«
    »Wo ist Ihr Mann?«
    »Er war zum Abendbrote hier, ist aber bereits wieder im Dienst.«
    »Das ist unangenehm! Ich hätte gern mit ihm gesprochen, doch konnte ich leider nicht eher kommen. Kann man nicht zu ihm gehen?«
    »Freilich kann man das; aber es ist –«
    Sie blickte ihn verlegen an.
    »Fahren Sie nur fort!« ermunterte er sie.
    »Wegen solchen Dingen, wie sie gestern hier besprochen wurden, dürften Sie nicht zu ihm gehen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil – weil man leicht Verdacht schöpfen könnte.«
    »Ach so! Ich dachte, Sie hätten einen anderen Grund. Wie wäre es da, wenn Sie zu ihm gingen?«
    »Ich? Hm! Ich darf die Kinder nicht allein lassen.«
    »Sie sind ja in einer Viertelstunde wieder hier, und ich bleibe da, bis Sie kommen.«
    Sie war doch bedenklich, denn sie fragte:
    »Ist es etwas Gefährliches, was er thun soll?«
    »O, nein! Er soll sich noch hundert Thaler verdienen!«
    Das wirkte augenblicklich. Der besorgte Ausdruck ihres Gesichtes verschwand.
    »Was soll er dafür thun?«
    »Den Riesen noch einmal herauslassen.«
    »Das wird er schwerlich thun!«
    »Warum?«
    »Wegen der Angst. Uns ist ja nun geholfen. Wir sind nicht mehr gezwungen, etwas Verbotenes zu thun, um uns zu retten.«
    Er schüttelte sehr ernst den Kopf und sagte:
    »O doch! Ich glaube sogar, daß Sie heute sehr gezwungen sind, den Riesen noch einmal herauszulassen.«

    »Warum?«
    »Ich habe heute wieder einen Brief von dem ›geheimen Hauptmann‹ erhalten, der dies nothwendig macht.«
    »Mein Gott! Was steht darin?«
    »Daß gestern Etwas vergessen worden ist. Es muß noch eine Kleinigkeit besprochen werden; es wird aber ganz bestimmt das letzte Mal sein, daß man an Ihren Mann eine solche Forderung stellt.«
    »Und wenn er doch nicht darauf eingeht?«
    »So droht der Hauptmann, ihn anzuzeigen, daß er gestern den Gefangenen freigegeben hat.«
    »Welch ein Zwang! Was soll ich thun?«
    »Ganz ebenso habe auch ich mich gefragt. Die einzige Antwort ist die, daß wir gehorchen müssen.«
    »Sie meinen also, daß ich zu meinem Manne gehen soll?«
    »Ja. Hier ist der Brief. Nehmen Sie ihn mit. Aber ich bitte Sie um Gotteswillen, ihn keinen Menschen weiter sehen zu lassen!«
    »Das kann mir gar nicht einfallen. Es wäre ja zu unserem eigenen Verderben. Sie wollen also wirklich hundert Thaler zahlen?«
    »Ja. Ich gebe sie Ihrem Manne augenblicklich, sobald er mir den Gefangenen bringt.«
    »Zu welcher Zeit soll das sein?«
    »Punkt zwölf Uhr. Ich werde ganz an demselben Orte warten, wie gestern. Gehen Sie! Ich bleibe hier, bis Sie zurückkehren.«
    Die Frau warf ein Tuch über und ging. Sie hatte keinen Begriff von der Größe der Gefahr, in welche sie ihren Mann stürzen, und von der Größe der Pflichtverletzung, zu welcher sie ihn verleiten wollte.
    Es dauerte Etwas über die angegebene Zeit, ehe sie zurückkehrte. Ihr Gesicht hatte einen ernsten Ausdruck.
    »Nun, was hat er gesagt?« fragte der Baron.
    »Er war ganz und gar dagegen.«
    »Aber er hat sich doch noch erweichen lassen? Nicht?«
    »Ja, freilich! Aber nicht um der hundert Thaler, sondern um der Drohung des Hauptmannes willen. Es soll aber auf jeden Fall heute das letzte Mal sein, daß er so Etwas unternimmt.«
    »Damit bin ich einverstanden. Das habe ich ja auch selbst gesagt. Also er wird Punkt zwölf Uhr mit dem Bormann am Pförtchen sein?«
    »Ja, wenn es möglich ist. Ist er noch nicht da, so sollen Sie warten. Er kommt später ganz gewiß.«
    »Schön. Die hundert Thaler erhält er augenblicklich. Gute Nacht!«
    »Gute Nacht!«
    Er ging. Sein Weg führte ihn in jenen entlegenen Stadttheil, wo in dem Gartenhause die geheimen Zusammenkünfte abgehalten wurden. Er gelangte auf dem bereits angegebenen Wege hinein. Als er wieder zurückkehrte, war Mitternacht bereits nahe. Es mußte viel verhandelt worden sein.
    Wäre Jemand an der anderen Seite der Gartenmauer aufgestellt gewesen, hätte er beobachten können, daß aus einem schmalen Pförtchen nach gewissen Pausen dunkle Gestalten huschten. Dem Pförtchen gegenüber war ein kleines Gehölz. Am Rande

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