Der verlorne Sohn
in welcher das Haus des Obersten von Hellenbach stand. Er trat ein. Es waren über ein halbes Dutzend Schutzmänner vorhanden.
»Was wünschen Sie?« wurde er gefragt.
»Entschuldigung, wenn ich störe!« antwortete er. »Soeben begegnete mir ein Herr, welcher mich bat, schleunigst nach hier zu gehen, um Ihnen eine sehr wichtige Mittheilung zu machen.«
»Welche?«
»Ich weiß nicht, ob ich sprechen darf. Es könnte sich auch um eine Mystifikation handeln.«
»Mystifikation? Hm! Wer sind Sie?«
Da trat einer der Schutzmänner vor und antwortete:
»Ich kenne den Herrn. Es ist der Kunstmaler Brenner, welcher neben mir wohnt.«
»Schön! Also, Herr Brenner, wie lautet Ihre Meldung?«
»Es wird bei der Tochter des Obersten von Hellenbach eingebrochen.«
»Donnerwetter! Wann?«
»Vielleicht in diesem Augenblicke.«
»Wer ist der Thäter?«
»Der Riese Bormann.«
»Unsinn! Der steckt sehr sicher hinter Schloß und Riegel!«
»Er ist entweder entsprungen oder herausgelassen worden. Ich weiß das natürlich nicht. Ich kann blos sagen, was der Herr mir aufgetragen hat.«
»Jedenfalls eine Mystifikation, mein werther Herr Brenner. Kannten Sie den Herrn, der Sie hergeschickt hat?«
»Nein.«
»Sehen Sie! Es scheint, man hat sich im Datum verrechnet. Wir haben den ersten Dezember, aber nicht den ersten April.«
Der angebliche Maler schüttelte nachdenklich den Kopf. Er meinte:
»Der Fremde schien vorausgesehen zu haben, daß man mir keinen Glauben schenken würde. Er gab mir eine Bescheinigung mit.«
»Ah! Was?«
»Es ist nicht hell genug auf der Straße, um deutlich zu sehen. Es scheint eine Art von Münze zu sein, welche ich erhielt. Hier ist sie.«
Er zog den Gegenstand aus der Tasche und gab ihn hin. Der Beamte warf einen Blick darauf und sagte überrascht:
»Der Fürst des Elendes! Ueberall ist er! Alles weiß er! Er sagt nie die Unwahrheit! Der Einbruch wird wirklich verübt. Auf also, meine Herren! Nehmen Sie Todtschläger mit! Einer bleibt hier! Vorher aber telegraphire ich um Succurs nach der Hauptwache!«
Bei der Bewegung, welche es jetzt gab, fiel es gar nicht auf, daß der Maler sich nach einem kurzen Gruße zurückzog. Kaum eine halbe Minute nach ihm verließen auch die Polizisten das Local.
Nicht in einer auffälligen Truppe, sondern einzeln und möglichst unbemerkt eilten sie dem angegebenen Orte zu. Das Thor war verschlossen. Der Anführer zog es vor, zu klopfen, anstatt die Klingel zu ziehen. Der Portier war wach. Er nahte sich und fragte von innen: »Wer klopft?«
»Die Polizei. Oeffnen Sie möglichst leise!«
Der Mann schien bestürzt zu sein, denn es dauerte eine Weile, ehe das Thor aufging. Er trat unter die Oeffnung und fragte: »Wirklich Polizei?«
»Ja. Sie sehen es ja. Sprechen Sie leise. Wo schläft Fräulein von Hellenbach? Liegt das Zimmer nach der Straße oder nach dem Hofe zu?«
»Nach dem Hofe zu. Warum?«
»Erschrecken Sie nicht. Wir erwarten Menschen, welche dort einbrechen wollen.«
»Himmeldonnerw-!«
»Pst! Nicht so laut. Ist jemand Verdächtiger hier passirt?«
»Nein.«
»Oder durch die Hofthür?«
»Kein Mensch.«
»Hm! Ist die Letztere ohne Geräusch zu öffnen?«
»Ja. Schloß und Angeln sind gut geölt.«
»Oeffnen Sie! Dieser Vordereingang bleibt auch offen, und ein Mann postirt sich hier, um den Succurs zu empfangen. Die anderen kommen mit. Vorwärts! Aber leise!«
Der Portier öffnete die Hinterthür. Der Anführer trat vorsichtig in den Hof und blickte sich um. Er hatte kaum Selbstbeherrschung genug, einen Ruf des Erstaunens zu unterdrücken. Er trat zurück und meldete flüsternd: »Sie sind bereits oben. Draußen lehnt eine Leiter. Es scheint, sie sind durch das gegenüberliegende Haus der Wasserstraße hier in den Hof eingestiegen.«
»Wollen wir ihnen auf der Leiter folgen?« fragte Einer.
»Nein,« antwortete der vor-und umsichtige Beamte. »Das wäre zu gefährlich. Derjenige, welcher von Außen durch das Fenster steigen wollte, wäre den Waffen der Einbrecher preisgegeben. Sind die Thüren oben verschlossen?«
»Ja,« antwortete der Portier. »Aber mein Hauptschlüssel öffnet alle.«
Da hörte man leise Schritte von außen. Die erwartete Hilfe nahte.
»Ah, da kommt Succurs,« sagte der Beamte. »Brennt die Laternen an! Sechs, acht, zehn, zwölf Mann! Das ist vollständig genug. Einer am Hauptthore, zwei am Hinterthore hier, um den Hof zu bewachen. Die Anderen folgen jetzt. Vorwärts!«
Sie stiegen unhörbaren Schrittes die Treppe
Weitere Kostenlose Bücher