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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ein braves Weib! Ich bin es gar nicht werth! Sie hat mich so lieb gehabt, und was habe ich ihr dafür gegeben? In Jammer, Schande und Elend habe ich sie gebracht. Und mein Kind, mein Junge, mein –«
    Er hielt inne. Es war über den riesenstarken Mann eine Rührung gekommen, deren er nicht Herr zu werden vermochte. Erst nach einer Weile fuhr er mit leiser, milder, beinahe zärtlicher Stimme fort: »Haben Sie Kinder, Herr?«
    »Nein.«
    »Sind Sie einmal gefangen gewesen?«
    »Nein.«
    »So wissen Sie nichts, gar nichts! Hauptmann, ich bin ein wilder, ein grimmiger Mensch; ich mache mir aus einem Menschenleben nichts, gar nichts. Ich habe meine Eltern zu Tode geärgert und mein Weib ins Elend gebracht; ich habe es geschlagen, oft, oft, daß es liegen blieb; ich habe gestohlen, geraubt, gemordet; ich habe gedacht, daß da unter den Rippen und Knochen nicht eine Spur von dem sei, was Andere das Herz nennen! Aber, hole mich der Teufel, ich habe doch ein Herz, und was für eins! Das habe ich während meiner Gefangenschaft gemerkt.«
    Er hielt abermals inne. Er hatte die Hände gefaltet, und seine Stimme war so weit gesunken, daß die einzelnen Worte fast nicht verstanden werden konnten. Seine Brust hob und senkte sich, und erst nach einem tiefen, tiefen Athemzug fuhr er fort: »Herr, mein Junge hat so blaue, blaue Augen – grad wie der Himmel! Und die Backen sind so rund und so roth! Und das Mäulchen – grad zum Küssen – zum Schmatzen, wie ich es heiße! Und die Arme und Beine, so dick, so rund, so quatschelig, daß es eine Freude, eine Wonne ist! Er konnte schon Papa sagen! Herrgott! Papa! Und was für ein Papa bin ich gewesen! Ein Rabenvater, der – der – der –«
    Er schluchzte!
    Der Hauptmann sagte kein Wort. Nach einer Pause fuhr der Riese fort:
    »Der Kleine packte mich beim Barte und beim Haare und zauste mich, daß es eine Freude war. Und dann legte er mir den Kopf auf die Achsel und die Ärmchen um den Hals, und nun trat meine Frau herbei und nahm – nahm – nahm mich von der anderen Seite und fragte mich weinend, ob das denn nicht ein Glück – ein Glü – ein Gl –«
    Seine Stimme brach in Weinen. Er schlang die Arme um den nächsten Baum und legte den Kopf an den Stamm, als ob er seine starke, mächtige Gestalt stützen müsse. Das dauerte eine ziemliche Weile. Dann begann er abermals: »Was mögen sie machen? Werden sie an mich denken? Papa wird der Kleine sagen: aber Der, nach dem er sich sehnt, der liegt in Ketten. Der Fürst des Elendes hatte Recht, ganz Recht!«
    »Machst Du es anders?« fragte der Hauptmann jetzt.
    »Ja. Ich könnte!«
    »Wie denn?«
    »Durch die Flucht.«
    »Und Deine Frau, Dein Kind?«
    »Die nehme ich Beide mit.«
    »Schwatze keinen Blödsinn! Mit diesen Beiden hätten sie Dich bald wieder ergriffen.«
    »Ich würde sie und mich vertheidigen wie ein Löwe!«
    »Aber doch untergehen! Und was hätten sie dann davon? Nein! Hast Du die Deinigen wirklich so lieb, wie Du sagst, so ist das ein Grund mehr, mir zu gehorchen. Thust Du das, so bist Du in drei oder vier Wochen freigesprochen.«
    Der Riese richtete seine Gestalt freudig in die Höhe.
    »Ist das wahr?« fragte er.
    »Ich verspreche es Dir! Ich gebe Dir mein Ehrenwort!«
    »Das Urtheil wird lauten, daß ich unschuldig bin?«
    »Ja.«
    »Und ich kann dann zu meinem Weibe und meinem Kinde gehen?«
    »Ja. Du bist dann vollkommen und vollständig frei.«
    »Das klingt freilich gut, das klingt ganz so, wie ich es haben will!«
    »Und es wird auch so werden!«
    »Was habe ich da zu thun?«
    »Du steigst noch einmal ein.«
    »Gut, gut! Es handelt sich um die Freiheit und um Weib und Kind. Folge ich dem Fürsten, so komme ich in’s Zuchthaus. Folge ich Ihnen, so werde ich frei. Da ist die Wahl nicht schwer.«
    »Du willigst also ein?«
    »Ja, ich will. Aber eine Bedingung stelle ich!«
    »Welche?«
    »Es darf kein Mord dabei sein!«
    »Es ist auch keiner dabei. Du sollst bei einer Dame einsteigen und ihren Schmuck holen.«
    »Darauf gehe ich ein. Wer ist sie?«
    »Die Tochter des Obersten von Hellenbach.«
    »Die? Ah, die kenne ich, und ihr Haus auch.«
    »Das ist gut.«
    »Wie aber komme ich hinein?«
    »Durch das Haus Nummer Elf in der Wasserstraße.«
    »Wie aber komme ich in dieses?«
    »Ich habe den Schlüssel. Hier ist er!«
    Er gab dem Riesen den Schlüssel. Dieser betrachtete ihn beim Scheine des Schnees und fragte:
    »Sapperment, das ist kein Nachschlüssel, sondern ein Original! Wie kommen Sie dazu?«
    Der

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