Der verlorne Sohn
thun? Mich vielleicht anfallen und berauben? Ich werde um Hilfe rufen und Sie wegen Hausfriedensbruch, Drohung und Nöthigung verklagen lassen!«
»Thun Sie das! Vorher aber nehmen Sie das Geld und fertigen mir darüber eine Quittung aus!«
»Gut! Das will ich thun! Das ist meine Pflicht, meine schwere, mühevolle und undankbare Pflicht. Bei der Administration solcher Häuser erntet man nur Ärger und Gefahr des Leibes und des Lebens. Doch rechne ich dabei auf Gotteslohn, welcher dem Gerechten nicht versagt bleiben wird.«
Er kam hinter dem Tische hervor, setzte sich an demselben nieder und schlug ein dickes Buch auf. Dann warf er einen forschenden Blick auf den Jüngling und fragte: »Sie wollen doch Alles bezahlen?«
»Alles!«
»Können Sie das auch?«
»Ja.«
»Wissen Sie, wieviel Sie schuldig sind?«
»Sehr genau.«
»Ich zweifle daran!«
»Sie haben den Hauszins für –«
»Oh, oh!« fiel der Administrator ein. »Den Hauszins blos?«
»Ja. Was sonst weiter?«
»Acht Prozent Zinsen vom Verfalltage an.«
»Ah!« sagte Robert erstaunt.
»Und die Quittungs-und Buchungsgebühr!«
»Die Quitt – Was sind das für Gebühren?«
»Und die Anwaltskosten!«
»Herr Seidelmann, ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen!«
»Das glaube ich Ihnen! Ja, das glaube ich Ihnen! Wer Liebesgedichte schreibt und liest, der pflegt in den Angelegenheiten des weniger poetischen Lebens gewöhnlich ein Lüdrian zu sein. Ich muß Ihnen leider erst erklären, welche Pflichten Sie zu erfüllen haben!«
Er setzte sich in Positur, opferte seiner Nase eine Prise, legte sein Gesicht in strenge Falten und sagte:
»Sie sind den Miethzins schuldig geblieben?«
»Leider, ja.«
»Diese Schuld mußte gebucht werden!«
»Ich glaube es.«
»Sie sind Schuld, daß diese Arbeit nöthig wurde und haben also die Kosten derselben zu bezahlen.«
»Von solchen Kosten habe ich noch nie gehört. Wieviel betragen sie?«
»Vier Procent der Schuldsumme.«
»Mein Gott! Das macht mit den Zinsen ja zwölf Procent!«
»Allerdings. Und dazu kommen die Anwaltskosten.«
»Ich hatte doch mit keinem Anwalt zu thun!«
»Aber ich! Sie kamen heute nicht, um zu bezahlen, und so ging ich zum Advocaten, um die Klage auf Exmission anfertigen zu lassen. Das kostet Geld, das Zurücknehmen der Klage kostet wieder Geld. Wollen Sie zahlen, und sind Sie wirklich im Stande, es zu thun?«
Robert war wie vom Donner gerührt. Er, der bescheidene, unerfahrene Jüngling, war einem solchen Manne gegenüber machtlos. Er fragte sich, ob die fünfzig Thaler wohl reichen würden; er dachte an das Geld, welches ihm von den Goldstücken, welche der Fürst von Befour ihm geschenkt hatte, übrig geblieben war, und fragte: »Herr Seidelmann, nennen Sie das nicht Wucher?«
»Wucher? Was fällt Ihnen ein! Was verstehen Sie unter Wucher?«
»Wenn ein Gläubiger mehr Zinsen nimmt, als er menschlicher Weise nehmen sollte!«
»Die Bibel gebietet dem gläubigen Christen, mit seinem Pfunde zu wuchern! So lautet es wörtlich!«
»Diese Stelle ist anders zu deuten!«
»Davon verstehen Sie nichts. Die Bibel kann nur von einem frommgläubigen Theologen ausgelegt werden. Ich frage nochmals, ob Sie bezahlen können?«
»Und wenn ich es nicht kann?«
»So werden Sie exmittirt, zu deutsch herausgeworfen.«
»Herr Vorsteher! Ich möchte fragen, ob das christlich ist?«
»Ärgert Dich Dein Auge, so reiße es aus! Ärgert Dich Deine Hand, so haue sie ab! Sie geben, indem Sie Liebesgedichte lesen und den Zins nicht zahlen, dem ganzen Hause ein Beispiel des Ärgernisses. Meine Pflicht als Vorsteher, Christ und Administrator gebietet mir, dieses Ärgerniß zu beseitigen. Sehen Sie, Ihre Augen blitzen und Ihre Lippen zucken vor unchristlicher Wuth, von sündhaftem, teuflischem Grimm! Und doch gebietet der heilige Apostel: Kindlein, liebet Euch unter einander! Sie aber sind Beelzebub verfallen. Sie sind ein Kind der Augenlust, der Fleischeslust und des hoffärthigen Wesens. Gehen Sie in sich! Versuchen Sie die Beichte, und bitten Sie den Allliebenden dabei auf Ihren Knieen um Gnade und Barmherzigkeit.«
Robert stand da, ganz starr vor Erstaunen.
»Sehen Sie,« fuhr der Vorsteher fort, »wie die Wahrheit meiner Worte auf Sie wirkt? Sie ist wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt. Sie stehen da wie Lots Weib, als es sich umblickte nach dem Feuer, welches Sodom und Gomorrha verschlang. Auch Sie leben in einem Sodom und wandeln in dem Gomorrha der Ueppigkeit und der unlauteren Liebe, die
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