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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Hauptmann hütete sich natürlich, zu sagen, daß er der Besitzer des Hauses sei. Er antwortete:
    »Das ist Nebensache! Du öffnest vorsichtig und kommst ohne Gefahr bis in den Hinterhof. Die Mauer stößt an Hellenbachs Garten.«
    »Ist sie hoch?«
    »Allerdings. Beinahe fünf Ellen.«
    »Wie komme ich da hinüber?«
    »Sehr einfach. Grad an dieser Mauer hängt eine Leiter. Sie ist wegen Feuersgefahr vorhanden. Sie ist zwar sehr lang, aber es hängt dabei noch eine viel kürzere, welche passen wird.«
    »Gut! Und nachher?«
    »In Hellenbachs Hofe angekommen, ist es das dritte Fenster der zweiten Etage, von links gerechnet, wo Du einsteigen mußt.«
    »Der zweiten –! Alle Teufel! Wie komme ich da hinauf?«
    »Sehr einfach. Auch auf einer Leiter!«
    »Wo finde ich die?«
    »Ich habe sie mit.«
    »Wo?«
    »Hier. Dort zwischen den Bäumen liegt sie.«
    »Und die soll ich von hier nach der Wasserstraße schleppen?«
    »Ja.«
    »Durch einen Hausflur, zwei Höfe und einen Garten?«
    »Ja.«
    »Nehmen Sie es mir nicht übel! Aber, sind Sie etwa verrückt, Herr?«
    »Nein. Ich traue Dir aber viel zu; denn ich weiß, daß Dir Keiner gleichkommt.«
    »Das ist aber Unmögliches verlangt!«
    »Pah! Es ist nicht so schwer. Komm und sieh Dir die Leiter an!«
    Er zog ihn ein Stück weiter fort bis zu einem Baume, an welchem ein hier nicht deutlich zu erkennender Gegenstand lehnte. Der Riese betastete ihn.
    »Ah, von Eisen,« sagte er.
    »Ja. Nur fünfzehn Pfund schwer.«
    »Und das soll zwei Stock hoch reichen?«
    »Ganz sicher. Es ist meine eigene Erfindung. Leider kann ich auf so eine Diebesleiter kein Patent nehmen.«
    »Sie ist zusammengelegt und trägt sich wie ein Feldstuhl.«
    »Ich werde Dir nachher zeigen, wie sie geöffnet wird. Vorher aber muß ich Dich noch weiter instruiren. Hier in dieser Mappe sind zwei Pflaster.«
    »Um das Fenster einzudrücken?«
    »Ja. Das muß aber mit solcher Vorsicht geschehen, daß sie nicht davon erwacht.«
    »Werde ich sehen können, ob sie schläft?«
    »Ja; sie brennt Nachtlicht. In der Mappe sind zugleich Knebel und Stricke. Du bindest und knebelst sie, läßt ihr aber die Augen offen, damit sie Dich deutlich sehen kann. Darauf kommt Alles an. Am Spiegel steht das Schmucktischchen. Der Schlüssel dazu wird anstecken. Steckt er aber nicht an, so liegt er am Fuße des Consolührchens.«
    »Woher Sie doch nur stets Alles so genau wissen!«
    »Das ist meine Specialität! Wenn Du dann die Pretiosen genommen hast, kehrst Du ganz einfach an demselben Wege zurück, den Du vorher genommen hast.«
    »Ich bin ganz allein?«
    »Ganz. Bis zu dem Hause an der Wasserstraße gehe ich mit. Dort werde ich warten. In einer Viertelstunde kannst Du fertig sein. Hier ist für den Nothfall ein Revolver!«
    »Gut! Heute heißt es: Entweder frei werden oder zu Grunde gehen!«
    »Du wirst frei sein. Morgen wird es heißen, daß der Riese Bormann bei Hellenbachs eingebrochen ist. Du bist aber gefangen. Es muß Einen geben, der Dir ähnlich ist wie ein Ei dem andern, nur daß er ein Maal hat. Der Jude Salomon Levi wird beschwören, daß Derjenige, welcher bei ihm gewesen ist ein Maal gehabt hat – Du bist gerettet.«
    »Aber das Maal –?«
    »Das mache ich Dir jetzt. Komm ein Wenig mehr in das Lichte!«
    Nach kurzer Zeit, während welcher er ihm auch den Gebrauch der Leiter gezeigt hatte, waren sie zum Aufbruche bereit. Der Riese nahm die sämmtlichen Gegenstände an sich, und es gelang ihnen, völlig unbeachtet bis in die Wasserstraße zu kommen.
    Hier blieb der Hauptmann zurück. Bormann öffnete die Hausthür von Nummer Elf und zog den Schlüssel wieder ab. Er gelangte glücklich in den Hof und auf die von dem Hauptmanne angegebene Weise bis an die hintere Front des Hellenbach’schen Palastes. Ja, dort oben am dritten Fenster war noch Licht!
    Er nahm die Leiter auseinander und richtete sie vorsichtig empor. Am oberen Ende hatte sie krumme Haken, gerade wie die Steigleitern unserer Feuerwehr. Mit Hilfe derselben fand sie oben auf dem Fenstersteine einen festen Halt.
    Jetzt probirte er den Aufstieg. Die Leiter war sehr dünn gearbeitet, zeigte sich aber als unzerbrechlich und zuverlässig. Er kam glücklich oben an und blickte in das Zimmer.
    Da lag sie auf ihrem Ruhebette, so schön, so hold, wie er noch kein Mädchen gesehen hatte.
    »Himmelelement!« flüsterte er. »Ist das ein Prachtmädel! Der reine Engel! Da ist mein Weib denn doch nichts dagegen! Aber dafür hat die einen Jungen! Hm, sie dauert mich

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