Der verlorne Sohn
empor. Noch waren sie kaum verschwunden, da stieß Einer von den Beiden, welche den Hof zu bewachen hatten, den Anderen an.
»Du! Schau! Dort an der Mauer!« flüsterte er.
Auf der Mauer, welche das Grundstück von dem hinter demselben liegenden trennte, erschien ein Mensch. Er sprang hinab und kam leisen, aber eiligen Laufes herbei.
»Er gehört zu ihnen. Wollen wir ihn festnehmen?« flüsterte der Polizist.
»Nein, bei Leibe nicht!« meinte der Andere. »Laß ihn nur hinauf. Dort ist er uns sicher. Jetzt aber, wenn er Lärm machte, könnte er uns Alles verderben.«
»Hast auch Recht. Lassen wir ihn also hinauf.«
Sie hatten die Thüre so weit zugezogen, daß nur eine schmale Lücke offen war. Durch diese betrachteten sie die Person. Sie war nicht sehr hoch und dabei schmächtig. Gesichtszüge ließen sich nicht erkennen. Er bekümmerte sich gar nicht um die Thür; er eilte auf die Leiter zu. Als sie jetzt die Thür weiter öffneten und die Köpfe ein Wenig vorsteckten, sahen sie ihn wie eine Katze empor klettern. Oben hielt er an und blickte durch das jedenfalls offenstehende Fenster. Dann sprang er hinein.
Einen Augenblick lang hörte man nichts. Dann aber erklang eine Stimme:
»Zurück, Bösewicht!«
In demselben Augenblick erscholl von oben ein Schrei, welcher mehr dem Brüllen eines wilden Thieres oder rasend gewordenen Stieres glich.
»Das ist der Kampf,« meinte der eine Polizist.
Sie lauschten in höchster Spannung. Das Gebrüll währte noch einige Zeit. Ein Schuß krachte; noch einer; Flüche erschollen; dann wurde es still.
»Wir haben gesiegt,« antwortete der andere Polizist. –
Nachdem der ›Hauptmann‹ über die Mauer des heimlichen Versammlungsortes wieder auf die Straße geklettert war, begab er sich nach der Frohnveste. Er langte kurz vor zwölf Uhr bei dem Pförtchen an, hatte aber bis weit über Mitternacht zu warten, bis es leise geöffnet wurde. Zwei Männer traten heraus, der Riese und der Schließer. Der Letztere flüsterte:»Sind Sie da? Ja. Ich wage viel!«
»Gar nichts!« antwortete der Hauptmann.
»Werden Sie ihn mir wirklich wiederbringen?«
»Gewiß!«
»Wann?«
»Punkt drei Uhr.«
»Ich thue es aber zum letzten, zum allerletzten Male!«
»Man wird es auch nicht öfterer verlangen.«
»Und das Geld?«
»Hier sind hundert Thaler. Adieu einstweilen!«
Er drückte ihm die abgezählte Summe in die Hand und zog dann den Riesen mit sich fort. Unter den Bäumen blieb er mit ihm stehen.
»Was solls heute wieder?« fragte Bormann mißmuthig.
»Deine Rettung!«
»Pah! Wohl wie gestern wieder?«
»Unsinn! Das war ein dummer Fall! Ihr seid selber Schuld!«
»Inwiefern?«
»Ich wende eine solche Summe auf, um Dich durch den Beweis zu retten, daß es einen Zweiten giebt, der Dir ähnlich ist; ich sage sogar, daß Ihr das ganze Geld behalten sollt, und Ihr laßt Euch von einem einzelnen Menschen in das Bockshorn jagen! Hättet ihr ihn niedergeschlagen!«
»Donnerwetter! Hauptmann, es war der Fürst des Elendes!«
»Das habt ihr mir bereits heute Nacht erzählt. Ich glaube es nicht.«
»Aber ich glaube es! Er stand mit zwei Revolvern vor uns. Hätte ich mich bewegt, so wäre ich in demselben Augenblicke eine Leiche gewesen.«
»Wir wollen nicht rechten. Vorüber ist vorüber. Ich brauche Dich nothwendig; darum sollst Du auf alle Fälle frei werden, aber nicht durch die Flucht, sondern durch richterlichen Spruch. Ist die eine Gelegenheit versäumt worden, so muß ich Dir eine andere bieten.«
»Ich habe verdammt wenig Lust!«
»Was? Wie? Du willst nicht frei werden?«
»Herzlich gern; aber nicht auf diese Weise!«
»Auf eine andere geht es nicht.«
»Ich möchte keine Dummheiten mehr begehen.«
Der Hauptmann trat einen Schritt zurück, schüttelte verächtlich mit dem Kopfe und antwortete:
»Pah! Eine ganz alberne Folge der Predigt, welche Euch dieser Popanz, der Fürst des Elendes, gehalten hat.«
»Ich gebe aber doch zu, daß er Recht hat!«
»Meinetwegen! Folge ihm! Laß Dich verurtheilen! Weißt Du, was Du zu erwarten hast?«
»Nun?«
»Bis zwölf Jahre Zuchthaus!«
»Das weiß ich. Ich brenne aber durch. Ich mache nach Amerika und werde dort ein ehrlicher Kerl.«
»Das ist nicht so leicht, als wie Du denkst!«
»O, mich sollen sie nicht erwischen!«
»Aber Deine Frau?«
Der Verbrecher senkte den Kopf und schwieg.
»Und Dein Kind!« fügte der Hauptmann hinzu.
Da hob der Riese den Kopf langsam empor und antwortete:
»Meine Frau! Herr, ich habe
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