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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Lippen grüßten still, aber innig. Und wenn sie eine Kleinigkeit zum Munde führte, so war es ein Vergnügen, die Perlenreihen ihrer Zähne glänzen zu sehen. Es war klar, daß sie ihn gewinnen wollte.
    Er merkte jetzt von all den Schönheiten nichts. Er sah nur die Delicatessen, nickte fröhlich vor sich hin und sagte:»Speist man bei Ihnen stets so gut, Fräulein Judith?«
    »Nicht immer, sondern nur dann, wenn Dichter geladen sind.«
    »Dann sind diese Dichter wohl verpflichtet, der Tafel alle Ehre zu erweisen?«
    »Natürlich! Aber die Wirthin darf dabei nicht vergessen werden!«
    »O nein!« lachte er heiter. »Sie soll mitessen dürfen!«
    »O, Sie materielle Seele!«
    »Ist das ein Lob oder ein Vorwurf?«
    »Nur das Letztere.«
    »Ich dachte, nur das Erstere. Die Seele ist außerordentlich abhängig von der Materie. Doch, gerathen wir nicht auf dieses Gebiet, sondern bleiben wir lieber bei der Tafel.«
    Er hatte alle Befangenheit überwunden und aß wie Einer, der ein Recht dazu hatte, hier am Tische zu sitzen. Sie freute sich darüber. Sie suchte ihm das Beste heraus und legte es ihm vor. Er wurde gesprächiger und immer gesprächiger. Seine Wangen bekamen Farbe; seine Augen glänzten, und seine Witze sprühten vor Geist.
    Sie bemerkte das gar wohl. O, er hatte Recht gehabt, als er sagte, daß die Seele von der Materie abhängig sei. Er hatte gehungert. Er hatte vielleicht nie ein solches Mahl gehabt. Jetzt zeigte sich die geistige Wirkung dieses materiellen Ueberflusses.
    Er sprach und kaute und kaute und sprach; sie konnte ihr Auge nicht von ihm wenden; denn er war jetzt schön, wirklich schön. Sie fühlte, daß sie ihn liebe, daß sie ihn haben müsse, daß sie um seinen Besitz mit jeder Gegnerin ringen und kämpfen werde.
    »Sie sagten, daß Sie noch mit keiner schönen Dame gespeist hätten?« fragte sie. »Ist das wörtlich zu nehmen?«
    »Ja, wörtlich,« nickte er.
    »So sind Sie wohl selten in Damengesellschaft gewesen?«
    »Nie.«
    »Das ist kaum glaublich. Ein junger Herr Ihres Alters pflegt schon einige Liaisons gehabt zu haben.«
    »Liaisons? O weh! Diese Herren sind zu beklagen!«
    »Oder vielmehr ihre Damen!«
    »Beide! Ich würde mir nie eine Liaison gestatten.«
    »Warum?«
    »Weil sie eine Versündigung ist, eine Versündigung an einem fremden und dem eigenen Herzen.«
    »So haben Sie wirklich niemals eine derartige Bekanntschaft gehabt?«
    »Nie,« antwortete er ernst. »Unter einer Liaison verstehe ich eine vorübergehende Liebelei. Eine Dame, welche Liaisons gehabt hat, gleicht einem Schmetterlinge mit beschädigten Stellen.«
    »Sie haben Recht!«
    »Nicht wahr! Der Mensch darf nur eine einzige Liebe haben; aber diese muß so groß und mächtig sein, daß sie sein ganzes Denken und Fühlen, sein ganzes Leben ausfüllt.«
    »Wären Sie einer solchen Liebe fähig?«
    »Ja.«
    »Aber gefühlt haben Sie sie noch nicht?«
    »Nein.«
    »Meinen Sie, daß sie plötzlich über Einen herfällt, oder daß sie langsam ihren Einzug in das Herz hält?«
    »Je nach dem Naturell. Ich bin zum Beispiel überzeugt, daß eine solche große Liebe nie langsam, sondern nur plötzlich über Sie kommen könnte.«
    »Wieder haben Sie Recht. Und wie ist es bei Ihnen?«
    »Ich denke, bei mir würde das Gegentheil stattfinden. Ich würde die Liebe nicht hinunterstürzen, sondern sie langsam trinken und nippen, bis der süße Rausch so ganz mein Herr geworden wäre.«
    »Das geht zu langsam! Trinken Sie! Trinken Sie!«
    Ihre Augen funkelten. Sie hielt ihm ihr Weinglas entgegen, um mit ihm anzustoßen. Es kam ganz fremd und eigenartig über ihn. War es der Wein oder waren es die Gluthblicke aus den Augen des schönen Mädchens. Er stieß mit ihr an und antwortete:»Ja, trinken wir!«
    »Wein oder Liebe?«
    »Beides!«
    »Ja, richtig!« jubelte sie. »Beides! Beides!«
    Sie legte den vollen Arm auf seine Schulter, näherte ihr Gesicht dem seinigen und fragte:
    »Wie denken Sie von mir? Wie gefalle ich Ihnen?«
    »Bei Ihrem Anblicke denke ich an die Worte des Dichters:
     
    Füll den Pokal mit Schiraswein;
    Entfess’le Deiner Locken Quell!«
     
    »Soll ich ihn entfesseln?«
    Ihr Athem streifte heißt seine Wange, und ihr Arm legte sich fester um seine Schulter. Er hatte sich noch nie in einer solchen Versuchung befunden. Er wußte nicht, was er antworten sollte.
    »Noch nicht! Noch nicht!« sagte er, um doch Etwas zu sagen.
    »Aber später doch? Gut! Wir verstehen uns. Und das ist kein Wunder. Sind wir doch

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