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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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besonnen?«
    »Nein.«
    »Bleiben Sie bei derselben?«
    »Ja.«
    »Wenn man Ihnen aber nicht glaubt?«
    »So kann ich es nicht ändern. Aber, wollen Sie nicht so gut sein, mich allein zu lassen?«
    »Warum?«
    »Ich bin nicht gar zu sehr für Sie eingenommen!«
    »Es ist meine Pflicht, die Gefangenen zu besuchen, um ihre –«
    Er hielt schleunigst mitten in der Rede inne. Die lange, breite Gestalt des Riesen hatte sich aufgerichtet und hielt ihm die geballte Faust unter die Nase.
    »Wollen Sie etwa Keile?« fragte Bormann.
    »Nein, nein, Adieu!«
    »Adieu! Nicht so bald wieder, sonst –«
    Die Thür wurde verschlossen. Der Pfarrer begab sich zu dem Schließer, welcher nun selbst Gefangener war. Dieser saß, in trübes Sinnen versunken, auf seiner Pritsche. Als er den Eintretenden erblickte, erhob er sich, um zu grüßen. Seinem Gesichte aber war es anzusehen, daß ihm der Besuch nichts weniger als willkommen war.
    »Nun, Arnold, heut wieder Verhör gehabt?« fragte der Pastor.
    »Ja.«
    »Haben Sie gestanden?«
    »Wie wäre das möglich! Ich bin ja unschuldig!«
    »Aber Sie geben doch zu, daß der Riese ohne Ihre Hilfe nicht heraus gekonnt hätte?«
    »Die Sache ist mir selbst ein Räthsel. Ich kann nur sagen, daß ich nichts von Allem weiß.«
    »Sie werden trotzdem verurtheilt werden.«
    »Ich werde mich zu vertheidigen wissen!«
    »Was könnten Sie da anführen?«
    »Dreierlei: Erstens, daß es mehrere Beamte giebt, welche Schlüssel haben. Zweitens, daß Bormann den Richtigen nicht nennen wird, sondern Denjenigen unter dem Personal, auf den er eine Picke hat.«
    »Und drittens?«
    »Drittens, das ist der geheime Hauptmann. Man weiß, daß der fast allmächtig ist. Es ist leicht möglich, daß der ihn herausgeholt hat.«
    »Alle diese drei Punkte haben wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Ich rathe Ihnen, die Wahrheit zu gestehen.«
    »Und Ihnen, Herr Pastor, rathe ich, sich nicht in Sachen zu mengen, welche Sie nichts angehen. Ob ich geständig bin oder nicht, das ist Sache des Untersuchungsrichters, aber nicht die Ihrige! Adieu!«
    Der abermals abgewiesene Geistliche begab sich nun nach einem anderen Corridor. Man pflegt die Gefangenen, welche unter einem und demselben Untersuchungsfalle stehen, möglichst zu trennen. Daher kam es, daß Robert Bertram in einer anderen Abtheilung des Gefängnisses untergebracht war.
    Als der Pfarrer in den betreffenden Corridor trat, fand er, daß eine Zellenthür offenstand. Er ging näher. Vor der Thür stand, discret zurückgezogen, der Schließer. Der Pfarrer blickte hinein. Da stand der Assessor, welcher als Untersuchungsrichter fungirte, und der Bezirksarzt, welcher zugleich Gefängniß- und Gerichtsarzt war. Am Boden aber lag der Gefangene in einem Zustande, welcher mitleiderregend war.
    Man hatte ihm, als man ihn inhaftirt hatte, einen Strohsack in die Zelle gelegt; dieser aber war jetzt ganz zerrissen, so daß der Gefangene auf dem blanken Stroh lag. Man erkannte auf den ersten Blick, daß er den Strohsack zerstört hatte. Aus welchem Grunde?
    Auch die Beiden, welche sich soeben bei Robert in der Zelle befanden, waren soeben erst eingetreten. Sie erblickten den Geistlichen und begrüßten ihn. Dann wendete sich der Untersuchungsrichter an den Schließer.
    »Hat er gesprochen?«
    »Ja,« lautete die Antwort.
    »Was?«
    »Nur ganz dummes Zeug.«
    »Haben Sie nichts verstanden?«
    »Es waren viel Reime dabei.«
    »Das ist sonderbar!«
    »O, der Kerl will uns doch nur an der Nase herumführen, Herr Assessor! Er thut nur so, als ob er ganz von Sinnen sei; das kennt man! Das ist die letzte Zuflucht solcher Kerls, wenn sie keine andere Hilfe mehr wissen. Er declamirt in Einem fort.«
    »Also verständige Antworten auf Ihre Fragen giebt er nicht?«
    »Nein.«
    »Und die Augen, waren sie stets so geschlossen wie jetzt?«
    »Ja.«
    »Und der Gesichtsausdruck?«
    »Er zieht sehr oft ganz gräuliche Grimassen. Man soll denken, daß er große Schmerzen leide.«
    »Hm! Warum haben Sie ihm diesen zerrissenen Strohsack gegeben?«
    »Zerrissen? Er war noch fast ganz neu. Aber er selbst hat ihn zerfetzt und so zugerichtet. Er tobte, ohne sich vom Boden zu erheben, in der Zelle herum und demolirte Alles. Darum haben wir es für nöthig gehalten, ihn, wie ja die Hausordnung besagt, an die Kette zu schließen.«
    Der Gefangene war wirklich an Arm und Fuß mittels einer starken Kette an die Mauer gefesselt.
    Der Assessor schien kein Unmensch zu sein. Er schüttelte leise mit dem Kopfe und

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