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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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umschlossen und versuchte mit der anderen Hand, die Lampe zu verlöschen. Marie verhielt sich vollständig bewegungslos dabei. Es war Nacht geworden im Zimmer und Nacht in ihrem Innern. – – –Am anderen Morgen kam der Vorsteher, um sich nach dem Befinden seiner Mündel zu erkundigen. Er fand den Baron in der allerschlechtesten Laune. Dieser fragte:»Was ist denn eigentlich mit dem Mädchen geschehen? Sie ist ein Körper ohne Seele, ohne Leben.«
    »Es ist eine schwere Prüfung über sie gekommen, welche aber nach einiger Zeit vorübergehen wird.«
    »Ich habe keine Lust, diese Zeit zu erwarten. Nehmen Sie das Mädchen immerhin wieder mit sich fort!«
    »Sie scherzen, gnädiger Herr!«
    »Fällt mir gar nicht ein! Sie ist eine Leiche bei lebendigem Leibe, und eine Leiche dulde ich nicht in meinem Hause.«
    »Ihr Wunsch ist mir Befehl, Herr Baron. Ich bin wegen eines Unterkommens für sie nicht in Verlegenheit.«
    Er ging. Sein Weg führte ihn nach der Ufergasse und zwar in dasselbe Haus, in welchem der Schlosser gestern abend bei Madame Pauli den vermeintlichen Kunstmaler Brenner aufgesucht hatte.
    Madame Pauli, eine jener Restaurationsinhaberinnen, welche von der Schönheit ihrer Kellnerinnen leben, bewohnte das Parterre und die erste Etage. Der Vorsteher stieg noch eine Treppe höher. Dort stand an der Thür des Vorsaales zu lesen »Madame Groh, Rentière«. Er klingelte, und es wurde geöffnet. Eine große, breitschultrige Dame erschien.
    »Gott grüße Dich, liebe Adelheid!« sagte er.
    »Du bist es, lieber August! Herzlich willkommen! Tritt näher!«
    Sie führte ihn in eine Art Salon, wo Beide auf einem Sopha in vertraulicher Weise Platz nahmen.
    »Nun, wie geht es mit dem Geschäfte?« fragte er.
    »Wie immer! Man macht die Ansprüche nicht so groß und muß zufrieden sein.«
    »Hast Du genug Auswahl hier?«
    »Nicht sehr. Es ist Alles fort. Hast Du etwas Neues?«
    »Ja.«
    »Gut?«
    »Ausgezeichnet! Exquisit!«
    »Geh! Mache mich nicht neugierig!«
    »Es ist überhaupt ein eigener Fall. Das Mädchen ist brav, gut und noch niemals einer Versuchung unterlegen! Hast Du von den beiden Diebstählen gehört, welche gestern vorgekommen sind?«
    »Ja. Fels und Bertram.«
    »Nun, Fels ist ihr Geliebter und Bertram ist Stiefbruder. Sein Stiefvater, welcher ihr richtiger Vater war, ist heute Vormittag vor Schreck gestorben, als er hörte, daß sein Sohn ein Einbrecher sei. Auch auf sie hat der Schreck außerordentlich gewirkt. Sie spricht kein Wort.«
    »O, das findet sich! Ist sie hübsch?«
    »Sehr sogar!«
    »Farbe?«
    »Blond.«
    »Gestalt?«
    »Mittlere Statur, nicht gerade üppig, aber feingliedrig und voll.«
    »Das ist gut! Zähne?«
    »Vollständig.«
    »Und wie steht es mit dem Preise?«
    »Du sollst sie billig haben.«
    »Gut, bringe sie einmal her, sobald es dunkel geworden ist.«
    »Ich werde kommen. Aber Eins sage ich Dir: Sie ist nämlich meine Mündel. Verstanden? Weißt Du, was das zu bedeuten hat?«
    »Ich weiß es. Du brauchst keine Sorge zu tragen.«
    »Ich möchte mir natürlich keine Unannehmlichkeiten bereiten. Sie mag als Dein Hausmädchen gelten und Niemand braucht zu wissen, daß sie des Abends mit da unten bei Madame Pauli sich befindet.«
    »Wird sie mir Noth machen?«
    »Hoffentlich nicht. Sie ist überhaupt stets ein stilles Mädchen gewesen.«
    Nach einer längeren Unterredung empfahl er sich.
    Pastor Matthesius, der Gefängnißgeistliche, besuchte die Frohnveste, in welcher die Untersuchungsgefangenen inhaftirt zu sein pflegten. Als Gefängnißseelsorger hatte er Zutritt in jede Zelle. Der Erste, welchen er heute besuchte, war der Riese Bormann.
    Dieser lag lang ausgestreckt auf der nackten Diele und machte auch keine Anstalt, sich zu erheben, als er den Geistlichen eintreten sah.
    »Nun,« sagte der Letztere, »wollen Sie nicht aufstehen?«
    »Nein.«
    »Aber es würde wohl anständiger sein, zu stehen als zu liegen.«
    »Wer hier wohnt, braucht von Anstand nichts zu verstehen!«
    »Aber die Ehrfurcht vor dem Beichtvater!«
    »Habe ich einmal bei Ihnen gebeichtet?«
    »Leider nein.«
    »Nun, so nennen Sie sich also auch nicht meinen Beichtvater!«
    »So bin ich doch wenigstens Ihr Seelsorger!«
    »Sorgen Sie zunächst für Ihre Seele; dann wollen wir sehen, was ich mit der meinigen mache!«
    »Bormann, Bormann, Ihnen ist nichts Gutes zu prophezeien!«
    »Zwanzig Jahre Zuchthaus. Dazu brauche ich keinen Theologen.«
    »Haben Sie sich wegen Ihrer Aussage

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