Der verlorne Sohn
Schulter und fragte in ihrem süßesten Tone:
»Also nicht? Ich bin Ihnen nicht fern?«
»Ich beteure Ihnen, daß Sie mir unendlich nahe stehen!«
Er sagte mit diesen zweideutigen Worten allerdings das Richtige; denn sie stand ganz nahe bei ihm, so nahe, daß ihr Körper den seinigen berührte.
»Nun, dann bin ich zufrieden,« versicherte sie. »Dann ist es ja gar nicht meine Absicht, Sie für Andere zu gewinnen. Ich würde dann am Allermeisten verlieren. Aber, Durchlaucht, dann dürfen Sie doch wenigstens mir gewähren, was Sie Anderen versagen!«
»Den Zutritt zu mir?«
»Ja. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich vor Verlangen brenne, die Räume zu sehen, welche Sie bewohnen. Ich muß erfahren, wie und wo Derjenige lebt und wohnt, dem – ich so nahe stehe. Ist dieser Wunsch so ganz und gar unerfüllbar?«
»Nein, Ella, er ist nicht nur erfüllbar, sondern er erfüllt mich sogar mit inniger Freude, mit Entzücken. Aber –«
Sie wartete, daß er fortfahren solle, als er jedoch schwieg, fragte sie in schmeichelndem Tone:
»Soll ich mich mit diesem Aber zufriedengeben?«
»Ist es denn möglich, Sie allein bei mir zu empfangen?«
»Ich soll also die Einzige sein, der Sie Ihr Sesam öffnen?«
»Es giebt allerdings nur eine allereinzige Person, der ich eine Ausnahme gestatte, und diese Person sind Sie.«
»Und Sie meinen, daß ich diese Erlaubniß nicht benützen kann?«
»Die Dehors –«
Da legte sie ihm auch die andere Hand auf die Schulter, neigte sich zu ihm, der auf dem Stuhle saß, nieder und fragte: »Kennt die Liebe eine Dehors? Nein! Sie hat ihre eigenen Gesetze und denen gehorcht sie, ohne zu fragen, ob sie nach den kalten Regeln der Convenienz handelt. Darf ich kommen?«
Er that, als ob er nur ihrem liebevollen Drängen weiche:
»Ja, Ella.«
»Wann?«
»Wollen Sie das nicht selbst bestimmen?«
»Gut! Heute?«
»Ah, heute bereits?«
Er that, als ob er beinahe erschrocken sei. Sie stieß ein kurzes, goldenes Lachen aus und fragte:
»Sind Sie bereits für anderwärts engagirt?«
»Nein. Ich werde während des ganzen Abends zu Hause sein.«
»Gut, so komme ich!«
»Aber – der Baron!«
»Der Baron? Mein Mann? Pah! Er wird sehen und bemerken, daß ich ausfahre, weiter nichts. Er ist rücksichtslos gegen mich und so bin ich ihm keine Rechenschaft schuldig.«
»So werde ich Sie also erwarten.«
»Aber nicht für kurze Zeit. Ich lasse meinen Wagen wieder zurückgehen. Sie werden die Güte haben, mich dann nach Hause fahren zu lassen. Ich quartiere mich förmlich bei Ihnen ein. Ich muß mich ganz genau bei Ihnen umsehen, um zu wissen, in welche Umgebung ich Sie zu versetzen habe, wenn ich an Sie denke und von Ihnen träume. Ist Ihnen das unangenehm?«
»Wollen Sie mich kränken, gnädige Frau?«
»Gnädige Frau! Wie kalt!«
»Und doch bediene ich mich dieses Ausdruckes mit vollem Rechte. Ich bedarf Ihrer Gnade. Ich werde für einen ganzen Abend dem Eindrucke Ihrer Schönheit vollständig schutzlos preisgegeben sein.«
»Nun, so wird es auf Sie selbst ankommen, ob ich Gnade walten lasse. Für jetzt fühle ich keinen Beruf dazu.«
Er fühlte, daß sie im Begriffe stand, sich inniger an ihn zu schmiegen; darum erhob er sich rasch und trat einen Schritt zurück.
»Ich hoffe doch nicht, daß Sie bereits wieder aufbrechen wollen!« sagte sie, indem ihr Gesicht den Ausdruck der Enttäuschung zeigte.
»Ich bin leider dazu gezwungen. Da ich so glücklich sein werde, Sie den ganzen Abend bei mir zu sehen, muß ich die kurze Zeit bis dahin den Geschäften widmen, welche nöthig sind.«
Er sah, daß sie eine Liebkosung, einen Abschiedskuß erwartete, aber es gelang ihm doch, mit einer bloßen Verbeugung zu entkommen. Hätte er gewußt, daß sie von Seidelmann geküßt worden war, so wäre seine Abscheu gegen sie noch viel größer gewesen. Vielleicht hätte er in diesem Falle sogar auf ihren Besuch verzichtet.
»Welch’ schöner Mann!« flüsterte sie, als er fort war. »Ich möchte fast glauben, daß ich ohne ihn nicht zu leben vermag. Ich liebe ihn, ich liebe, liebe, liebe ihn! Ich könnte für ihn Alles, Alles, Alles thun! Ich könnte stehlen, morden – ich könnte sogar meinen Mann, diesen – ah! – verrathen!«
Und er, der Fürst, als er nach der Treppe schritt, schüttelte sich und flüsterte leise:
»Gemeines Weib! Sie besucht mich, des Abends, allein! Ich verachte sie mit jeder Faser meines Herzens; aber ich darf sie nicht von mir weisen, wenn ich siegen will.«
Als er unten
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