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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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einstieg, flüsterte ihm der Diener zu:
    »Ein anderes Arrangement mit der Zofe getroffen!«
    »Wieso?«
    »Wir gehen nicht zum Ball.«
    »Schön! Ihr werdet allein sein. Die Baronin besucht mich für den Abend. Das Uebrige nachher!«
    Er fand die Familie des Obersten allein. Sie fühlten sich Alle durch seinen Besuch im höchsten Grade geehrt und geschmeichelt. Natürlich war der Einbruch der alleinige Gegenstand des Gespräches. Der Oberst zeigte sich sehr befriedigt, daß man die Rücksicht gehabt hatte, seine Tochter nicht an Gerichtsstelle zu verhören. Der Assessor war selbst gekommen, um ihre Aussage zu Protocoll zu nehmen. Grad als man noch darüber sprach, trat der Diener ein und meldete: »Herr Assessor von Schubert.«
    »Ah, jedenfalls etwas Neues und Wichtiges!« meinte der Oberst. »Der Herr mag eintreten.«
    Der junge Untersuchungsrichter folgte der Einladung und wurde dem Fürsten vorgestellt, vor dem er sich respectvoll verbeugte.
    »Ich habe sehr um Verzeihung zu bitten, daß ich Zutritt nehme,« sagte er, »zumal es eigentlich nichts Zwingendes ist, was mich dazu veranlaßt. Ich komme, um Ihnen, gnädiger Herr, eine Bitte oder vielmehr zunächst eine Frage vorzutragen.«
    »Ich stehe gern zur Verfügung,« antwortete der Oberst.
    Und als der Assessor einen halben fragenden Blick auf den Fürsten warf, fuhr der Oberst fort:
    »Ist der Gegenstand Ihres Besuches ein Amtsgeheimniß?«
    »Allerdings nein.«
    »So werden Durchlaucht gestatten, Sie zu hören«
    »Gewiß!« antwortete der Genannte. »Ich nehme so aufrichtig Theil an den Schicksalen Ihrer lieben Familie, daß ich mich für dieselben ebenso interessire wie für meine eigenen Angelegenheiten. Natürlich setze ich voraus, daß meine Anwesenheit dem Herrn Assessor nicht störend erscheint.«
    »Nicht im Geringsten,« antwortete der Beamte. »Es handelt sich um den angeschuldigten Bertram –«
    »Ah!« meinte der Fürst. »Der junge Mann ist der Gegenstand des allgemeinen Stadtgespräches. Man kann sich nicht denken, wie der Riese sich mit ihm verbinden konnte.«
    »Das ist auch mir ein Räthsel.«
    »Hat er gestanden?«
    »Kein Wort. Ich habe überhaupt noch kein Verhör mit ihm vornehmen können. Er liegt entweder in vollständiger Lethargie, oder er phantasirt. Er scheint krank zu sein.«
    »Oder zu simuliren!« bemerkte der Oberst.
    »Der Untersuchungsrichter ist gezwungen, dies zunächst anzunehmen; in der Folge aber bin ich beinahe zu der festen Ueberzeugung gekommen, daß von einer Verstellung keine Rede ist.«
    »Nun, wenn er in Wirklichkeit phantasirt, so läßt sich aus seinen Reden vielleicht auf den Gegenstand der Untersuchung schließen?«
    »Nicht im geringsten. Er ruft immer: ›O Nacht, Nacht, Nacht!‹ oder er declamirt Verse.«
    »Bekannte Verse?«
    »Das eine Gedicht hat die Fee des Meeres zum Gegenstande, und das andere ist die Nacht des Südens aus der Gedichtsammlung des Hadschi Omanah.«
    »Sonderbar!«
    »Höchst sonderbar! Er scheint körperliche Schmerzen zu leiden. Er hat sein Lager zerstört und zerrissen, vielleicht unter dem Eindrucke dieses Schmerzes. Heut haben wir ihn zur Leiche seines Vaters geführt. Wir glaubten, ihn zum Sprechen zu bringen, aber vergebens. Und morgen – ah, das ist eben der Gegenstand, welcher mich zu Ihnen führt.«
    »Wenn Sie einen Wunsch auszusprechen haben, soll es mich freuen, ihn erfüllen zu können!«
    »Diese Erfüllung ist möglich, allerdings nur in Rücksicht auf die Eigenthümlichkeit der Veranlassung. Sie haben bereits gehört, daß der Pflegevater dieses jungen Mannes vor Schreck gestorben ist?«
    »Gewiß!« antwortete Fanny. »Es mag entsetzlich sein! Der Sohn ein Einbrecher, der Vater todt vor Schreck und die kleinen Kinder nun im Waisenhause! Die Familie soll da drüben auf der Wasserstraße gewohnt haben, so, daß man von uns grad in ihre Fenster blicken kann. Ich vermag nicht, einen Blick hinüber zu senden!«
    »Es ist Ihnen von da drüben so Schlimmes gekommen,« sagte der Assessor. »Ich kann den Zusammenhang nicht begreifen. Ich vermag nicht einzusehen, wie der Riese aus dem Gefängnisse heraus zu dem Schreiber kommt.«
    »Es giebt zwei Erklärungen,« bemerkte da der Fürst.
    Die anderen blickten ihn erwartungsvoll an, und der Assessor sagte rasch:
    »Durchlaucht geruhen, von Erklärungen zu sprechen? Mir scheint für jetzt eine Erklärung noch unmöglich; ich würde bereits für einen Fingerzeig im höchsten Grade dankbar sein!«
    »Nun, glauben Sie, daß

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