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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Bertram’s Unschuld ausgeschlossen ist?«
    »Ich verurtheile keinen Angeklagten, ehe ich nicht überzeugende Beweise seiner Schuld habe.«
    »So giebt es also zwei Fälle: Entweder ist Bertram schuldig oder er ist es nicht. Im ersteren Falle müssen wir wohl annehmen, daß er mit dem Riesen den Einbruch nicht direct hat besprechen können.«
    »Das ist zweifellos sicher.«
    »Also muß es eine dritte Person geben, welche den Plan dazu entworfen hat.«
    »Und wer könnte das sein?«
    »Haben Sie nicht an den ›Hauptmann‹ gedacht, Herr Assessor?«
    »Gewiß. Ich bin sogar auf ihn hingewiesen worden. Bormann nämlich behauptet, von dem Schließer herausgelassen worden zu sein; dieser aber stellt dies ganz entschieden in Abrede. Er will nicht das geringste davon wissen und sagt, daß es nur der Hauptmann gewesen sein könne, welchem es auf irgend eine, bis jetzt noch unerklärliche Weise gelungen sei, den Riesen aus dem Gefängnisse zu befreien.«
    »Das ist wohl möglich,« meinte der Fürst.
    Er wollte fortfahren, aber der Assessor fiel ihm in die Rede:
    »Auf welche Weise meinen Durchlaucht?«
    »Die Art und Weise ist auch mir dunkel, doch habe ich einen sehr guten Grund, zu glauben, daß der ›Hauptmann‹ seine Hand wirklich im Spiele hatte. Ich werde nachher diesen Grund näher bezeichnen. Vorher aber muß ich auf meinen unterbrochenen Satz zurückkommen.«
    »Die Annahme, daß Bertram schuldig ist?«
    »Ja. Ist er wirklich schuldig, so ist als sicher zu denken, daß er ein Untergebener des Hauptmannes ist.«
    »Der Schluß ist richtig, obgleich es mir nicht wahrscheinlich sein will, daß der Hauptmann sich dieser Art von Kräften bedient.«
    »Nun, so kommen wir zu unserem zweiten Falle, Herr Assessor. Bertram ist unschuldig!«
    »Welchen Grund gäbe es, dies anzunehmen?«
    »Gnädiges Fräulein bemerkten vorhin, daß man von hier aus die Fenster von Bertram’s Wohnung sehen könne?«
    »So ist es,« antwortete Fanny von Hellenbach. »Ich habe mich orientirt. Ich kann von meinem Zimmer aus fast gerade in diese Fenster blicken.«
    »In diesem Zimmer hat der Einbruch stattgefunden?«
    »Ja.«
    »Wenn man hinüberblicken kann, so ist anzunehmen, daß man auch von drüben herüber in die Fenster dieses Zimmers sehen kann!«
    »Gewiß!«
    »Gnädiges Fräulein, brannte bei Ihnen Licht, als die That geschah?«
    »Ja.«
    »Ah! Denken Sie sich Bertram, zu derselben Zeit drüben an seinem Fenster stehend. Er blickte herüber nach dem erleuchteten Fenster. Er sah, daß dasselbe von außen geöffnet wurde, er erblickte die Gestalt oder auch wohl nur den Schatten eines Mannes, welcher einstieg, jedenfalls in verbrecherischer Absicht; er folgte dem augenblicklichen Drange seines Herzens, diese Absicht zu vereiteln!«
    »Das läßt sich allerdings als möglich denken; aber er war bewaffnet und hatte die geraubte Kette in der Hand, als er ergriffen wurde. Diese beiden Punkte fallen schwer in’s Gewicht.«
    »Sollten sie sich nicht auch erklären lassen? Wie ist der Riese an die Mauer gekommen?«
    »Er befand sich, wie sich zeigte, in dem Besitze einer eisernen, ausgezeichnet construirten und zusammenlegbaren Leiter. Diese diente aber nur zur Ersteigung des Fensters. Er ist zweifelsohne durch das Haus der Wasserstraße herübergekommen. Der Schlüssel zu diesem Hause fand sich in seiner Tasche, und die Gartenmauer, welche beide Grundstücke trennt, hat er mit Hilfe einer Holzleiter erklettert, welche zu dem Hause der Wasserstraße gehörte.«
    »Diese Leiter blieb lehnen?«
    »Ja. Sie wurde von den Polizisten bemerkt, nachdem die Arretur vollbracht war.«
    »Ist das Messer recognoscirt worden?«
    »Ja. Die kleinen Geschwister des Angeklagten, welche sich im Waisenhause befinden, sagten aus, daß es ihnen gehört habe.«
    »Und wo hat sich der Angeklagte vor der That befunden?«
    »Die Kleinen konnten darüber nichts sagen. Nun ist zwar noch eine größere Schwester vorhanden, aber diese scheint infolge des Schreckes geistig gestört zu sein –«
    »Dieses arme Mädchen!« fiel Fanny ein.
    »Ich nahm sie in’s Verhör,« fuhr der Assessor fort. »Sie konnte sich zwar besinnen, daß ihr Bruder zum Abendbrot geladen gewesen sei, aber wo, das war ihr entfallen. Er war dann nach Hause gekommen und in seine Kammer gegangen, nach einiger Zeit aber in höchster Aufregung zurückgekommen und zum Zimmer hinausgesprungen.«
    »Ah, meine Vermuthung!« sagte der Fürst. »Das ist es, was ich wissen wollte! Lassen Sie mich fortfahren!

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